Warum hassen Krähen?

Teil 2: Ohne Ausnahme hassen alle heimischen Krähenvögel – die einzelnen Arten unterscheiden sich jedoch deutlich in Form und Ausmaß des Hassens

Ein Eichelhäher (Symbolbild: Oldiefan)
Ein Eichelhäher (Symbolbild: Oldiefan)

Von Burkhard Stöcker, Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern

Eichelhäher

Unser mit Abstand häufigster Krähenvogel ist ein primär akustischer Hasser. Aufgrund seiner ausgesprochen geringen Körpergröße und Kraft und seiner nur seltenen Schwarmbildung kommt es fast nie zu körperlichen Attacken gegen potenzielle Feinde. Gegenüber dem Habicht kommt es, im Gegensatz bspw. zur Aaskrähe nie zu einer Hassreaktion – es wird immer schnurstracks die nächste Deckung aufgesucht. Gegenüber potenziellen Nestlings- und Eierräubern wie anderen Krähenvögeln, Eichhörnchen oder Mardern wird zumindest zur Brut- und Nestlingszeit und im Brutrevier ein aufsehenerregendes Alarmgeschrei inszeniert und werden gelegentlich auch Attacken geflogen. Mit dem zunehmenden Alter der Nestlinge werden diese Abwehr- und die Hassattacken intensiver.

Elster

Elstern hassen fast ausschließlich auf Boden und Luftfeinde innerhalb ihres Brutreviers und während der Brut- und Nestlingszeiten. Andere Krähen, Eichelhäher und Bussarde sind die primären „Hassobjekte“. Hier sind Elstern durchaus mutig, zupfen Bussarde schon mal am Schwanz und in der Nähe des Horstes kommt es häufiger zu direktem „Feindkontakt“. Gegenüber Habicht und Wanderfalke kommt es jedoch nur zur schlichten Fluchtreaktion.

Aaskrähe (Raben-, und Nebelkrähe)

Unsere beiden häufigen Geschwisterarten sind leidenschaftliche „Hasser“. Im Brutrevier werden andere Krähenarten und Bussarde bis zu zweihundert Meter weit verfolgt bzw. auch unter Stoßquorren angegriffen. Außerhalb der Brutzeit können vor allem auch größere Greife, wie Adlerarten oder Uhu Hassverhalten auslösen. Dabei wurden auch schon Aaskrähen Opfer von geschickten Steinadlern, die sich aus einem sie verfolgenden Schwarm einen etwas zu vorwitzigen Vogel griffen – man hat allerdings auch schon Aaskrähenhorste im selben Baum neben Steinadlerhorsten gefunden. Gegenüber wendigeren Greifen und gefährlichen Feinden wie Wanderfalken oder Habicht tritt die einzelne Aaskrähe sofort die Flucht an oder reagiert schon auf hunderte von Metern mit lautem Alarmgeschrei. Werden Habichte von größeren Schwärmen gesichtet, kommt es oft zu einer Verfolgungsaktion, bei der die Krähen aber respektvollen Abstand halten. Gelegentlich dreht hier aber der Habicht den Spieß um und erbeutet einen der Hasser. Die Haupthasszeiten liegen in den frühen und den abendlichen Dämmerstunden und vom zeitigen Frühjahr bis Ende Mai (Brut- und Aufzuchtzeit!). In den Mausermonaten (Juni-August) lässt die Hassbereitschaft sehr nach, steigt dann aber zum Herbst hin wieder an. Aaskrähen zeigten beim Hassen auch schon Werkzeuggebrauch: Sie brachen Zweige ab und ließen sie aus einiger Entfernung auf den Feind fallen – Experten werten dies allerdings als Übersprunghandlung zwischen Brutfürsorge (Nestbau) und Feindverhalten.

Saatkrähe

Hier zeigen sich Parallelen zum Verhalten der Aaskrähe: auch einzelne Saatkrähen hassen nie auf Habicht oder Wanderfalke, sind jedoch im Gegensatz zur Aaskrähe auch in der Gruppe meist weniger aktiv und bleiben selbst bei der Annäherung von Hunden, Katzen und Füchsen an Brutkolonien manchmal erstaunlich gelassen. Einzelne Vögel und auch Gruppen hassen aber – nichtsdestotrotz – auf Raubsäuger wie Hermelin, Marder oder auch Greifvögel und Katzen. Da die Saatkrähe besonders im Winter die Nähe menschlicher Siedlungen sucht und auch oft bis in die Innenstädte vordringt ist auch Hassen gegenüber unserer Spezies schon beobachtet worden. Meist geschieht dies gegenüber Menschen mit absonderlichem, ungewöhnlichem Verhalten.

Kolkrabe

Kolkraben haben als die mit Abstand kräftigsten heimische Krähenvögel kaum ernstzunehmende Feinde. Selbst der Habicht kommt nur gelegentlich als Beutegreifer in Frage, ja es gibt sogar zahlreiche Belege, dass Habichte durch die Konkurrenz der Kolkraben Horste und Brutreviere aufgegeben haben. Kolkraben hassen besonders im Brutrevier auf Bussarde und Seeadler, im Hochgebirge sicherlich auch auf den Steinadler. Am Luder ist bei Anwesenheit von zahlreichen Kolkraben nebst Seeadlern oder Bussarden immer mindestens ein Kolkrabe mit dem Hassen auf den Greif beschäftigt. Entweder zupfen die Raben ständig am Schwanz oder ziehen den Greifen die Flügel lang.

Auch von zahlreichen Kleinvögeln ist uns Hassen bekannt:

Wacholderdrosseln koten zuweilen Bussarde so zu, dass sie flugunfähig werden. Schwalben hassen sogar auf den pfeilschnellen Sperber, an den sich sonst kaum ein Kleinvogel herantraut – außer der Bachstelze, die, obwohl im Beutespektrum des Sperbers, diesem gelegentlich laut singend folgt und ihren Unmut kundtut.

Ähnliches Verhalten zeigen im Freiland die mit der Bachstelze verwandten gelben Schafstelzen – sie folgen im Brutrevier zuweilen laut schimpfend den gaukelnden Wiesenweihen.

Bei vielen unserer hassenden Vögel hat man schon den Eindruck, daß sie recht bibelfest sind: die Geschichte von David und Goliath haben sie verinnerlicht und beherzigen sie vor allem dann, wenn es im weiteren Sinne um den eigenen Nachwuchs und damit um den Erhalt der Art geht. 

Logo der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern
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Ein Beitrag von Burkhard Stöcker, von unserem Premiumpartner, der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.