„Über allen Gipfeln ist Ruh…“ – Goethe und die Jagd

Teil I: Johann Wolfgang von Goethes jagdlicher Werdegang

Goethe in der Campagna, Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (Foto: WikiImages)
Goethe in der Campagna, Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (Foto: WikiImages)

Von Burkhard Stöcker, Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern

Unweit südlich vom Thüringischen Ilmenau, in Richtung des Thüringer Waldkammes verlasse ich die Hauptstraße. Mein Weg führt Richtung Westen, sachte steigt der Forstweg durch ein Wiesental bergan, ein kleiner Bach und starke Kastanien begleiten ihn. Langsam wird der Weg steiler, führt mich durch Buchen- und Fichtenwälder, vorbei an kleinen Kahlschlägen auf denen auch Ahorne und Holunder ihren Platz zwischen den jungen Fichten behaupten. Der Verbiss an den jungen Laubbäumen ist eindeutig: Auch heute, gute zweihundert Jahre nach der Goetheschen Jagdära in Thüringen, gibt es hier noch Rotwild. Je näher ich dem Gipfel komme, desto lichter wird der Wald und zahlreiche Vogelbeeren wachsen bald im kniehohen Blaubeerkraut. Informationstafeln weisen mich auf vitale Populationen der so seltenen Kreuzotter hin…Und dann endlich bin ich am Ziel, dem Gipfel des berühmten Kickelhahns. Weit reicht der Blick über die Höhen des Thüringer Waldes nach Westen auf den Lindenberg, den Heidertalskopf, den Pferdeberg. Im Anblick jener Höhen und Wälder schrieb Goethe am 6. September 1780 eines seiner berühmtesten Gedichte:

Ein Gleiches

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vöglein schweigen im Walde,

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

Er ritzte diese Zeilen in die Wand seines Jagdhäuschens auf dem Kickelhahn. Hier ruhte der Dichter aus vom geschäftigen Treiben in Weimar und hier jagte er, oft und ausgiebig.

Goethe war neben Leonardo Da Vinci und William Shakespeare unzweifelhaft eines der größten Genies der Neuzeit. Man sagt ihm nach, dass er wohl einer der letzten Menschen war, die das Wissen ihrer Zeit noch in einer Person vereinten. Nach Goethes Epoche nahmen die Wissenschaften mit ihren hochgradigen Spezialisierungen, die bis heute andauern, einen so enormen Aufschwung, dass dies für einen Menschen alleine nicht mehr zu bewältigen war. Und dieser „allwissende“ Goethe, der Dichter und Denker, Forscher und Politiker, war neben all den Tätigkeiten seines ohne Zweifel bewegten Lebens – Jäger. Und wie wir seinem umfangreichen Schaffen und den zahlreichen Quellen der damaligen Zeit entnehmen, war Goethe (zumindest in den ersten Jahren seiner Weimarer Zeit) ein begeisterter und leidenschaftlicher Jäger.

Der jagdliche Werdegang

Goethes erste Kontakte zu Jagd und Jägersleuten sind unbestimmt, stammen aber vielleicht auch schon aus den Zeiten vor Weimar. Aber weder aus dem Elternhaus in Frankfurt, noch aus dem Studium in Leipzig oder Straßburg oder von seinen frühen Reisen gibt es Hinweise auf eine Beschäftigung Goethes mit der Jagd. Erst im Jahre 1774 begegnet der gerade 25jährige Goethe dem jungen Prinzen Karl-August zu Sachsen-Weimar-Eisenach. Zur damaligen Zeit war Goethe schon mehrere Jahre promovierter Jurist und durch seine frühesten Werke „Götz von Berlichingen“ und „Die Leiden des jungen Werther“ im ganzen Land bekannt und berühmt. Als ein Jahr nach ihrem ersten Zusammentreffen der gerade achtzehnjährige Karl-August Herzog wird, lud er Goethe nach Weimar ein. Nachdem der junge Dichter und der junge Herzog sich eine Weile „beschnuppert hatten“, berief der Herzog Goethe als Lehrer und Berater an seinen Hof. Die Entscheidung für Weimar sollte für Goethe eine Entscheidung fürs Leben werden. Und hatte er bislang in Frankfurt, Straßburg und Leipzig nur mit den städtischen Gepflogenheiten zu tun, traten im ländlichen Weimar nun Bergbau, Land- und Forstwirtschaft sowie die Jagd in Goethes Leben.

Der junge Herzog war ein außerordentlicher „Heißsporn“ und passionierter Jäger und zumindest im Herbst und Winter fast jeden Tag in seinem kleinem Reich zur Jagd unterwegs. So wurde Goethe, als Freund und Lehrer des Herzogs, zwangsläufig hineingezogen in die Kreise der Jäger und der Jagd.

In den ersten Jahren nach der Ankunft in Weimar ging es daher in Sachen Jagd hoch her. Goethe streifte oft mit seinem Landesherrn in die Wälder um Weimar und in den nahegelegenen Thüringer Wald. Es wurde dabei wild geritten und dem Wild, vornehmlich dem Hirsch, zu Pferde nachgestellt. Über Stock und Stein ging dabei die Jagd, häufig bis in die Dunkelheit – dann wurde oft an Ort und Stelle biwakiert, wo es gerade passte. Ein Nächtigen unter freiem Himmel war dabei sowohl nach des Herzogs als auch nach Goethes Geschmack. Mitteilungen gerade auch über die Freuden der Jagdausübung finden wir viele in den Schriften Goethes. Den Sohn Wilhelm Meisters lässt Goethe in den Wanderjahren folgende Passage sprechen: „Ich aber will ein Jäger werden. Es ist gar zu schön, den ganzen Tag im Wald zu sein und die Vögel zu hören, zu wissen wie sie heißen, wo ihre Nester sind, wie man die Eier aushebt oder die Jungen, wie man sie füttern und wenn man die Alten fängt: das ist gar zu lustig!“

Früh trefflich gehezzt“ bemerkt Goethe in seinem Tagebuch vom 18. November 1776 oder auch am 23. September des darauffolgenden Jahres, wo er bei Marksuhl „auf dem Wege den Spiesser gehezzt“ hatte.

Aber auch der Jagd auf kleineres Getier und Flugwild widmete Goethe in den ersten Weimarer Jahren viel und gerne Zeit. In einem Brief an Auguste Gräfin zu Stolberg im Jahre 1776 schreibt er: „Ich will hinüber ans Wasser gehen und sehen ob ich ein paar Enten schießen kann“.

Aus einigen Briefen Charlotte von Steins an Goethe ist immer wieder ein Vorwurf an dieses „Wilde Leben“ zu hören: „Welchen Sinn hat es denn: dies wilde Jagen, scharfe Reiten, dies Klatschen mit der großen Peitsche, wobei alle, die in der Nähe sind zusammenschrecken? […] das sind Jungenstreiche!“ Und weiter schreibt sie an einen gemeinsamen Freund: „Ich wünschte selbst er (Goethe) mögte etwas von seinem wilden Wesen darum ihn die Leute hier so schieff beurtheilen, ablegen, daß im Grund zwar nichts ist als das er jagd, scharff reit, mit der großen Peitsche klatsch, alles in Gesellschaft des Herzogs“. Das Goethe die Jagd jedoch nur so arg treibe, um den Herzog zu gewinnen, wie Frau von Stein in einem weiteren Brief vermutet, wird wohl kaum der Wahrheit entsprochen haben – dafür war Goethe vermutlich in dieser Zeit viel zu sehr mit Leib und Seele Jäger.

Seine Einstellung, zumindest zur aktiven Jagd, wandelte sich jedoch mit zunehmendem Alter oder besser mit seiner immer intensiver werdenden Beschäftigung mit Literatur, Wissenschaft und Politik. Gerade seine zahlreichen wissenschaftlichen Studien und sein umfangreiches literarisches Schaffen ließen ihn kaum mehr Zeit für die Jagd aufbringen. Bis ins hohe Alter war er jedoch immer mal wieder mit draußen und nahm noch immer regen Anteil an den jagdlichen Freuden seines Landesherrn: Noch im September 1827 (schon im hohen Greisenalter von 78 Jahren) beglückwünschte der alte Goethe seinen Landesherrn: „Zu dem schönen Jagdwetter, woran auch gestern in Berka und Tonndorf Theil zu nehmen schnelle Resolution faßte“.

Goethes Verhältnis zu Waffen

Goethes Vielseitigkeit erstreckte sich auch auf ein besonderes Interesse an handwerklichem Gerät für die Jagd, zu denen natürlich vornehmlich die Waffen gehörten. In Goethes Rechnungsbüchern finden wir zahlreiche Aufzeichnungen über Aufwendungen für Waffen und Munition, denen wir entnehmen können, dass er auch selbst Waffen besass. Kurz nach seiner Ankunft in Weimar bekam er von seinem Landesherrn eine Büchse geschenkt. Goethe nahm zumindest in jungen Jahren gerne und zahlreich an Schießwettbewerben und Übungschießen teil und tat dies zum Teil mit beachtlichen Erfolgen. Auch während einiger Kuraufenthalte bspw. im berühmten Karlsbad nahm Goethe an derartigen Wettbewerben teil.

Jagdgewehr aus dem 19. Jhd. (Symbolbild: iStock/DaddyBit)
Jagdgewehr aus dem 19. Jhd. (Symbolbild: iStock/DaddyBit)

Seinen Sohn führte der Dichter schon früh an die Tätigkeit des Schießens heran – er schenkte ihm schon in jungen Jahren ein paar Pistolen. Auch an der Arbeit mit dem Kalten Eisen (Saufeder) versuchte sich Goethe: Bei einem Winterjagen im Februar 1778 erbat er sich von seinem Landesherrn die Erlaubnis ein Wildschwein vor den Augen der ganzen hohen Gesellschaft „in das Fangeisen“ laufen zu lassen. Etliche „Wilde Sauen“ waren im Thüringer Wald mit Garnen gefangen und in Kisten nach Weimar verbracht worden. Der junge Goethe ging auf eine offenbar frisch aus den Kisten entlassene Sau mit den Worten „Hui Sau!“ zu – und unter deren Ansturm brach ihm offenbar das Eisen, so dass der Versuch der Erlegung unrühmlich, aber offenbar ohne Verletzung für den Dichter endete.

Beindruckend ist Goethes profundes Wissen um die Beschaffenheit von Pfeil und Bogen. In einem Gespräch mit seinem Freund Eckermann disputieren die beiden sehr ausführlich über die Art und Weise der Herstellung von Bögen und über die dazu geeigneten Holzarten. Dabei kommt auch zur Sprache, dass ein Bogen aus einem Stücke Holz nicht herausgeschnitzt und -gesägt wird, sondern dass man das Stück Holz „schlachten“ müsse, wie die Drechsler sagen: Dabei wird ein Keil der Länge nach durch den Stamm gezogen, von einem Ende zum anderen. Würde man den Stamm zersägen, würde die Faser zerschnitten und der zum Bogen bestimmte Teil eher brechen und unbrauchbar werden…

Im zweiten Teil von „Goethe und die Jagd“ erfahren Sie etwas über das Verhältnis Goethes zu Hofjagden, zu Jägern und Forstleuten und auch etwas über Schwarzwild und den von den wilden Sauen verursachten Wildschaden.

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Ein Beitrag von Burkhard Stöcker für unseren Premiumpartner, die Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.