Die Eichen

Futterkammer, Kultobjekt, Wertanlage

Eiche mit Eicheln (Symbolbild: pasja1000)

Ich fiebere immer dem Herbst entgegen, weil er die Zeit der Farben, der Früchte und
der Ernte ist. Und wer Eichen im Revier hat weiß um die Bedeutung der Eicheln: Zum
Nachziehen im Pflanzbeet, zum Aussäen, zum Basteln mit den Kindern, zur
Bevorratung für die Winterfütterung oder schlicht, um unter rauschenden Eichen
gespannt die anwechselnden Sauen zu erwarten.

Doch wo sind Sie geblieben die großen Eichenwälder, die einst Germanien
bedeckten?

Fichte und Kiefer heißen heute die Brotbäume der heimischen Forstwirtschaft. In den
meisten unserer natürlichen Waldkökosysteme wären diese beiden Nadelbäume
jedoch von Natur aus kaum mehr als eine kleine Beilage.

Das „gesunde Vollkornbrot“ hingegen wären unzweifelhaft Buchen und Eichen und
hier vor allem letztere – sie sind im wahrsten Sinne auch Brotbäume fürs heimische
Wild! Bützler beschreibt in seinem verhaltenskundlich hoch interessanten
Rotwildbuch eindringlich die Bedeutung von Eichen für das Rotwild: „Im
Reinhardswald konnte ich in guten Eichenmastjahren beobachten, dass sich Rotwild
oft stundenlang unter reich tragenden Sameneichen aufhielt, um die herabfallenden

Eicheln zu äsen. Da diese Zeit oft noch in die Brunft fiel, wurden solche Eichen auch
meist Mittelpunkt von Brunftplätzen. Das Kahlwild wollte von dieser Äsung gar nicht
weichen, und so boten sich noch bis in die späten Morgenstunden die Brunftrudel mit
dem Platzhirsch unter den Eichen in ihrer ganzen Schönheit dar. Auch im Solling
wirkte sich die starke Anziehung durch Eichelmast auf das Brunftverhalten aus.
Während zu Beginn der Brunft die Platzhirsche mit dem Kahlwild auf Waldblößen
und Kahlschlägen brunfteten, zogen sie sich mit zunehmendem Eichelfall immer
mehr ins Waldinnere zurück. Dort erreichte die Brunft noch einmal einen Höhepunkt
in den Eichenbeständen“.

Doch auch Damhirsche und Rehe, Sauen und Mufflons sind begeisterte
„Eichengänger“. Wenn die ersten Eicheln fallen, wundert sich so manch
leidenschaftlicher Schwarzwildjäger über verwaiste Kirrungen – die Sauen haben
jetzt besseres zu tun. Und die Brunft der Damhirsche spielt sich da, wo es
masttragende Eichen gibt, meistens in unmittelbarer Nähe ab.
In unserem Revier gibt es einen alten Eichenbestand, einen Hain, einen geradezu
heiligen Platz – fünfzig mächtige, alte Bäume stehen dort. Vom Winter bis in den
Herbst ist er tabu, es herrscht Stille im Hain – Jagdruhe. Wenn die ersten Eicheln
fallen gibt es einen ersten vagen Schritt hinein und bald darauf werden sie zum
Eldorado – hier fielen vor Jahren einmal innerhalb von fünf Tagen Bock, Keiler und
Hirsch!

Die Artenreichen

Doch nicht nur fürs Wild ist die Eiche von großer Bedeutung. Alte, lichte
Eichenwälder zeigen die höchste Biodiversität unter allen heimischen
Waldökosystemen. Gerade freistehende Alteichen sind ein wandelndes
„Struktursammelsurium“: Lebende und tote Äste, verschieden große Höhlen,
abgeblätterte Rinde, besonnte und stark beschattete Partien – die alte Eiche ist ein
Biotop für sich. Der Insektenreichtum an Eichen ist Legende, zahlreiche
Fledermausarten fühlen sich in tiefen Eichenhöhlen sicher vor Nachtfrösten, und
Spechte zimmern in Ihnen dauerhafteste Wohnstatt. Auch geweihtragende Käfer
sind dort zu Hause: Nur wo es altes Eichentotholz gibt, finden sich die Turnierplätze
der Hirschkäfer – wie für ihre Namensvettern aus dem Reich der Paarhufer sind
Eichen für sie „das Größte“.

Eichelhäher auf dem belaubten Waldboden (Symbolbild: 995645)

Von zwei Tieren wird sie jedoch besonders geliebt, beide führen sie im Namen und
beide machen sich auch redlich um sie verdient: der Eichelhäher und das

Eichhörnchen. Beide sammeln im Herbst tausende von Eicheln, um aus ihnen ein
Winterdepot anzulegen. Bei einem einzigen Eichelhäher sind es mitunter bis zu
zehntausend Früchte. Der Häher wählt für sein Depots häufig keimgünstige
Standorte: Saumstrukturen, Waldränder, Reisighaufen. Oft legt er sie auch gerne an
den Rand von dornigen Gehölzen wie Schlehen oder Weißdornsträucher – die
jungen Bäume wachsen vor Verbiss bestens geschützt im „Schatten der Dornen“.
Natürlich ist der Eichelhäher nicht primär bestrebt Eichen zu pflanzen – er sucht im
Winter die Depots wieder auf und frisst die Eicheln, oder er kommt im
darauffolgenden Sommer mit seinen Jungvögeln wieder: Die inzwischen zu kleinen
Bäumchen gekeimten Eichen werden von den Hähern häufig angehoben ohne das
die Wurzel den Bodenkontakt verliert. Die Eicheln werden leergefressen, und der
kleine Baum wächst weiter. So haben in manchen Fällen Häher und Wald etwas
davon.

Übrigens ist es ganz einfach mal Eichelhäher zu spielen: Ich habe im Herbst immer
die Taschen voller Eicheln und wenn ich im Revier unterwegs bin, habe ich auf
einem Auge den „Eichelhäherblick“: An den geeigneten Stellen wird ganz einfach mit
dem Schuh eine Eichel in den Humus gedrückt – und schon sind für die Nachwelt
potentiell gute Sauenplätze und Brunfteichen gesichert!

Die Kultigen

Im Nordhessischen muss sie gestanden haben, mitten auf einem bewaldeten Hügel
war sie eines der zahlreichen Eichenheiligtümer der Germanen: die Donareiche.
Dem Gewitter- und Kriegsgott der Germanen, Donar war sie geweiht – Blitz und
Donner signalisierten ihnen die Gegenwart ihres Gottes und die Eichen ließ er
besonders häufig seine Gegenwart spüren. Im Jahre 723 fiel die Donareiche durch
die Axt des Mönches Bonifatius, der ausgezogen war die Sachsen und Friesen zu
bekehren. Als Sinnbild der Macht seines Gottes fällte der Mönch ein Sinnbild des
Gottes der Germanen.

Auch für die Kelten war die Eiche heilig. Im keltischen heißt sie „dair“ – der Name
Druide ist davon direkt abgeleitet. Für diese keltischen Priester war die Eichenmistel
die wichtigste Heil- und Kultpflanze und die Eiche der wichtigste Baum.


Der römische Philosoph Plinius sprach voll Ehrfurcht von den Eichen, von denen er
gewaltige Exemplare in Germanien wusste: „Die Eichen Germaniens sind alt wie die
Erde und in ihrer Stärke großartiger als alle Wunder dieser Welt“.


Doch erst im 18. Jahrhundert begann mit Klopstock ein patriotischer Kult um die alten
Bäume. Eigenschaften wie Freiheitsdrang, unbeugsamer Stolz, Kraft und Stärke sah
man im Sinnbild der Eiche, und schob gleich diese Eigenschaften dem deutschen
Volk in die Schuhe. Dabei ist der Kult um die Eiche bei weitem kein deutsches
Phänomen. Überall dort, wo Eichen wachsen, wurden sie verehrt: Perser, Römer,
Griechen – in der alten griechischen Stadt Dodona standen die Eichen des Jupiter:
Aus ihrem Rauschen lasen die Priesterinnen das Orakel.

Die Wertvollen

Die Eiche gehört mit zu unseren witterungsbeständigsten und wertvollsten Hölzern.
Über Jahrhunderte hinweg gingen für die Masten und Planken von Schiffen tausende
von Eichen nach Holland und England. Viele Gebälke alter Fachwerkhäuser und
viele alte Dachstühle sind aus Eichenholz, ebenso wie zahlreiche Weidepfähle
Norddeutschlands. Um die großen Gehöfte standen und stehen dort noch vielerorts
alte Eichen – Bau- und Finanzreserve für Kinder und Enkel.

Die aus forstlicher Sicht berühmtesten Eichenwälder stehen im Spessart und im
Pfälzer Wald. Auf den dortigen Buntsandsteinböden wachsen die Eichen besonders
langsam und bilden daher sehr feine Jahrringe, die über lange Zeit für die
Furnierindustrie besonders wertvoll waren. In den alten Forstämtern Rohrbrunn im
Spessart und Jonanniskreuz und Merzalben im Pfälzer Wald stehen die wertvollsten
Eichen, und auf den dortigen Holzauktionen werden regelmäßig Spitzenpreise
erzielt.

Einzeln stehende Eiche (Beispielbild: Manfred Antranias Zimmer)

Die Imposanten

Am gewaltigsten werden jedoch die Eichen, wenn sie alleine stehen. Ihre Kronen
bilden sie dann zu domartigen Kuppeln aus, und ihre Stämme erreichen säulenhafte
Dimensionen. Die stärksten solchermaßen frei erwachsenen Eichen finden wir in
alten Hudewaldrelikten. Das Wort Hude kommt von „hüten“ und bedeutet somit soviel
wie Hütewald: das waren die Wäldern in denen früher das Vieh zur Äsung und zur
Mast eingetrieben wurde. Hudewälder bestanden und bestehen daher auch
überwiegend aus den masttragenden Baumarten Eiche und Buche. Berühmte alte
Hudeeichen gibt es im Reinhardswald in Nordhessen, im Neuenburger Urwald, im
Breeser Grund in der Göhrde oder im Ivenacker Tiergarten in Mecklenburg. Dort
steht wohl auch die stärkste deutsche Eiche: Sie hat einen Umfang von fast 12m und
einen Durchmesser von knapp 3,50m – ihr Alter liegt um die tausend Jahre.

Die „Kartoffel“

Bevor die Kartoffel aus Nordamerika nach Europa kam, gehörten die Eicheln fürs
heimische Vieh, besonders für die Schweine, zur Hauptnahrung. In den
„Mastordnungen“ des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde die Nutzung der
Wälder durch das Vieh geregelt. Die Hirten hatten für jedes Stück Vieh „Mastgeld“ zu
zahlen: für die Erlaubnis des Eintreibens in masttragende Wälder. In manchen
Gegenden gab es die sogenannten „Bräutigamsbäume“: Jeder Bräutigam hatte bei
der Eheschließung drei Eichen und drei Obstbäume zu pflanzen – zur
kontinuierlichen Nachlieferung von masttragenden Bäumen!

Die „Zukünftigen“?

Mitteleuropa ist seit etlichen Jahrhunderten ein von Natur aus überwiegend
buchengeprägter Raum. Nur auf den Sonderstandorten, wo es zu kalt, zu warm, zu
trocken oder zu nass ist konnten sich andere Baumarten behaupten. Auf für die
Buche zu trockenen Standorten sind ihr sowohl die Stieleiche als auch die
Traubeneiche überlegen. Auf nasseren Standorten, wie den Auen, hat auch
wiederum die Buche nichts verloren – in der Hartholzaue ist die Stieleiche eine
dominierende Art.

Mit einer zunehmenden Klimaerwärmung (mit all ihren negativen Folgen!) könnten
zukünftig zahlreiche Standorte von der forstlichen „Bucheneignung“ zur
„Eicheneignung“ wechseln. Die Flächenanteile der Eiche würden zunehmen, und sie
könnte mehr als sie es aktuell ist, tatsächlich zu einem mitteleuropäischen Baum
werden. Mehr Eichen würden in den meisten unserer Wälder vermutlich Positives
fürs Wild bedeuten: die Früchte der Eiche sind unzweifelhaft beliebter als jene der
Buche und vor allem: Eichenbestände sind durchschnittlich viel lichter und lassen
deutlich mehr Strauch, Kraut und Grasvegetation zu als Buchenwälder. Eichenwälder
sind daher viel artenreicher, und bieten auch dem Schalenwild deutlich mehr Äsung
als der schattige, dunkle Buchenwald. Da der Trend zum Laubwald seit Jahren
bundesweit unverkennbar ist, werden hoffentlich auch große Teile besonders der
norddeutschen, monotonen Kiefernwälder zukünftig wieder zu Eichenwäldern
werden – der Natur des Waldes, dem Wohlergehen des Wildes und der
Menschenfreude würde dies gewiss entgegenkommen.

Ein Beitrag von Burkhard Stöcker, von unserem Premiumpartner, der Stiftung Wald
und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.