Kritik an Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes

Experten sehen erheblichen Nachbesserungsbedarf am von den Regierungsparteien eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Windrad im Schwarzwald (Symbolbild: Herbert Bieser)
Windrad im Schwarzwald (Symbolbild: Herbert Bieser)

Die geplante Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist heute (05.07.2022) in einer Anhörung des Umweltausschusses bei Experten auf Skepsis gestoßen. Zwar unterstützten die Sachverständigen grundsätzlich das Ziel des von den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (20/2354), doch sahen sie bei der konkreten Umsetzung erheblichen Nachbesserungsbedarf. Es sei zu befürchten, dass das Ziel, die Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen, sonst verfehlt werde.

In der Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz am Montagnachmittag bemängelten Experten einerseits die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Diese könnten zu neuen Unsicherheiten bei Genehmigungsverfahren führen. Moniert wurde andererseits die Absenkung von Artenschutzstandards.

So kritisierte der auf Planungs- und Umweltrecht spezialisierte Rechtsanwalt Martin Gellermann, dass Schutzstandards zu Lasten stark gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten abgebaut würden. Der Entwurf enthalte hier Regelungen, die der Überprüfung am Maßstab des Völker- und Unionsrechts nicht standhielten. So sei es etwa mit der Vogelschutzrichtlinie nicht vereinbar, dass der Kreis kollisionsgefährdeter Brutvögel auf 15 Arten reduziert werden solle.

Auch Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring sah die Gefahr von Konflikten mit dem Europarecht, begrüßte aber, dass die Ampelkoalition mit der Novelle jetzt eine Vereinheitlichung von artenschutzrechtlichen Regelungen in Angriff nehme. Die „komplexe und uneinheitliche Anwendung des Artenschutzrechts“ sei tatsächlich bei einigen Windprojekten eine „Hürde“ gewesen. Die nun unter anderem vorgesehenen Maßgaben für die besonders kollisionsgefährdeten Brutvogelarten, die Einbeziehung von Artenschutzprogrammen und Vorgaben für die Ausnahmeprüfung wertete er als „sinnvoll“ und geeignet, um den Ausbau zu beschleunigen.

Franziska Heß, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, äußerte jedoch Zweifel, ob mit dem vorliegenden Entwurf überhaupt die wesentlichen Ursachen für Verzögerungen von Planungs- und Genehmigungsverfahren angegangen würden. Anstatt vor allem ökologische Standards abzusenken, bedürfe es auch der Anstrengungen, um die „elektronische und digitale, aber auch personelle Ausstattung der Behörden“ zu verbessern, mahnte Heß in ihrer Stellungnahme an.

Auch Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vertrat die Meinung, dass Veränderungen im Naturschutz nur begrenzte Wirkung für die Beschleunigung des Windkraftausbaus entfalten könnten. Ursache für Verzögerungen seien vor allem mangelnder politischer Wille, fehlende Kapazitäten und mangelnde Koordination bei Behörden, so Wessel. „Wir haben kein Problem des Artenschutzrechts, sondern ein Governance-Problem.“

Harsche Kritik kam auch von Jörg Andreas Krüger, NABU Bundesverband: Dem Entwurf fehle der „gesamtheitliche Ansatz“, so sein Urteil. Entgegen von Ankündigungen biete er auch keine Lösung für den Zielkonflikt zwischen Artenschutz und Windenergie, sondern stelle nur den Artenschutz schlechter. So werde der Windkraftausbau weder schneller noch naturverträglich.

Ganz anders die Sicht von Catrin Schiffer vom Bundesverband Deutscher Industrie. Das bisherige, europäisch geprägte Artenschutzrecht erschwere massiv den von den Unternehmen dringend benötigten Windkraftausbau. Der Entwurf sehe nun immerhin bundeseinheitliche Standards für die artenschutzrechtliche Prüfung vor. Derartige Standards brauche es aber für alle Planungs- und Genehmigungsverfahren, so Schiffer.

Auch Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband gingen die geplanten Änderungen nicht weit genug: Dass der Gesetzentwurf den Bau von Windrädern in Landschaftsschutzgebieten ermöglichen solle, sei zu befürworten, doch müsse dies auch für Photovoltaikanlagen gelten. Zudem monierte er „nicht praxistaugliche Regelungen“ wie etwa die vorgesehenen Verbote sowie Anzeigepflichten des Landwirts gegenüber Windenergieanlagenbetreibern.

Ingbert Liebing vom Verband kommunaler Unternehmen drängte auf „spürbare Erleichterungen für Windenergieprojekte“ und damit Anpassungen beim Artenschutz entsprechend den aktuellen Empfehlungen der EU-Kommission: Eine unbeabsichtigte Tötung einzelner Individuen sei demnach kein Verstoß gegen die EU-Naturschutzrichtlinie sofern der Populationsschutz gewährleistet sei. Dieser Empfehlung folge die Koalition jedoch mit „weitgehenden Tabubereichen“ leider nicht.

Auch Christine Wilcken von Deutschen Städtetag unterstrich die Notwendigkeit einer Abkehr vom Individuumsschutz hin zum Populationsschutz. Die Unklarheit, wie künftig etwa mit wechselnden Brutplätzen und Horsten umgegangen werden solle, könne in der Praxis zu neuen Planungsunsicherheiten führen, gab sie zu bedenken.

Dieser Kritik schloss sich Bärbel Heidebroek an, die für den Bundesverband WindEnergie (BWE) eine Stellungnahme abgab: Die Gesetzesnovelle enthalte auch „zahlreiche nicht definierte Begriffe“, die Interpretationen zuließen. Bleibe der Entwurf unverändert, sei keine Verbesserung der Situation für zu erwarten. Die gesteckten Ausbauziele könnten nicht erreicht werden. Zudem drohten laufende Genehmigungs- und Klageverfahren „massiv“ mit weiteren Unsicherheiten belastet zu werden.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw27-pa-umwelt-bundesnaturschutz-901234

Quelle: Herausgeber: „heute im bundestag“ (hib)