Kormorane fressen mehr Dorsch, als Fischer fangen dürfen

Ostseeküste: Kormoranfraß bisher deutlich unterschätzt – Konsequenzen für Management gefordert

Zwei Kormorane am Meer (Beispielbild: Adina Voicu)
Zwei Kormorane am Meer (Beispielbild: Adina Voicu)

Dass Kormorane Fische fressen, ist bekannt. Über die täglichen Mengen und die Zusammensetzung hingegen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Jetzt wurde eine neue Studie[1] veröffentlicht, die zeigt, dass die Mengen beachtlich und größer sind, als bisher geschätzt. Und: Es werden auch kommerziell wichtige Arten erheblich dezimiert.

Die Studie wurde vom schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Auftrag gegeben und vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow durchgeführt. Dabei wurden an drei unterschiedlichen Standorten insgesamt 1093 Speiballen von Kormoranen gesammelt, mikroskopisch analysiert und anhand nachgewiesener Hartstrukturen (Gehörsteine, Kauplatten, Kieferknochen etc.) eine Bestimmung der gefressenen Fischarten vorgenommen. Auch deren Körpergröße und Biomasse wurde zurückberechnet. In den untersuchten Speiballen wurden Reste von insgesamt 12.574 Fischen nachgewiesen, die 33 verschiedenen Fischarten zugeordnet werden konnten.

Bisher wurde von Naturschutzseite behauptet, dass Kormorane keinen Einfluss auf kommerziell genutzte Fischbestände haben, da sie hauptsächlich kommerziell uninteressante Fischarten fressen und ihr Nahrungsbedarf je Vogel und Tag lediglich etwa 180 bis 350 g betragen würde.

Die vorliegende Studie belegt jedoch, dass diese Aussagen einer genauen wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten und eine systematische Unterschätzung durch die Naturschützer darstellen. Die zurückberechnete Fischbiomasse pro Vogel und Tag betrug 455 g, 494 g und 787 g an den Standorten Schlei, Güsdorfer Teich und Dassower See. An einigen Standorten fraßen die Kormorane während mancher Monate hauptsächlich Dorsch und Hering. Besonders gravierend war das am Dassower See zu beobachten. In dieser Brackwasser-Bucht der Trave an der Grenze zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein hatte der Dorsch mit Werten zwischen 25,1 % und 96,1 % sogar die größten Anteile an der monatlichen Gesamtfischbiomasse. Unberücksichtigt bleibt dabei immer noch, dass Fische bei der Nahrungssuche der Vögel unter Wasser oftmals durch die scharfen Schnäbel nur verletzt werden, aber zunächst noch entkommen können. Viele von ihnen sterben später an den Folgen der Verletzungen.

Legt man die Daten der vorliegenden Studie zugrunde, kommt man am Dassower See, wo sich ein ganzjährig genutzter Schlafplatz befindet, auf eine überschlägige Gesamtdorschentnahme von etwa 100 bis 120 Tonnen im Jahr. Das ist alleine an dem Standort in der Lübecker Bucht mehr als die gesamte deutsche Dorschquote für das laufende Jahr in der westlichen Ostsee! Die deutsche Quote beim Dorsch in der westlichen Ostsee für 2022 beträgt 104 t und ist eine reine Beifangquote.Die vorliegende Studie belegt eindeutig, dass die Größenordnung der Fischverluste durch die Kormorane nach Anwachsen der Population durch übermäßige Schutzmaßnahmen inzwischen große Bedeutung für das Bestandsmanagement haben müsste.

Von dänischen Kollegen liegen Berichte vor, dass es in den letzten Jahren in den Küstengewässern jede Menge kleiner Dorsche gab, die vom Kormoran weggefressen wurden. Durch den Wegfraß der Jungfische in Küstengewässern gibt es keine ausreichende Rekrutierung der größeren, fangfähigen Fische. Erst vor kurzem forderte deshalb der dänische Europaabgeordnete und Stellvertretende Vorsitzende des Fischereiausschusses im Europaparlament, Søren Gade, den Schutzstatus des Kormorans zum Wohle der Fischbestände, der Artenvielfalt und der Fischer zu ändern. Laut Gade ist der Kormoran keine gefährdete Art mehr, sondern im Gegenteil so überbehütet, dass er für viele zur Plage geworden ist.

Das Europaparlament hat bereits mehrfach ein europäisches Management gefordert. Aber immer scheitern die demokratisch gewählten Volksvertreter am Widerwillen der EU-Kommission.

Daran ändert auch nicht, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im letzten Jahr gemeinsam mit den Bundesländern eine Rahmenrichtlinie erarbeitet hat, durch die es möglich sein soll, Binnenfischern, Betreibern von Aquakulturen und der kleinen Küstenfischerei Schäden von bis zu sieben Millionen Euro zu ersetzen.

„Das ist kein vernünftiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen, wenn die Fischer nur noch Hilfsgelder empfangen, um statt wertvoller Nahrungsmittel nur noch Vogelfutter für Kormorane zu produzieren“, sagt dazu Stefan Jäger, Vorsitzender der Kormorankommission des Deutschen Fischerei-Verbandes. Für die klimagerechte Ernährung der Menschheit müssen gemäß Lancet-Kommission (2019) die Fischerzeugung und der Fischkonsum in Zukunft um 50 % steigen, weil Fisch als Lebensmittel einen günstigeren CO2-Fußabdruck hat als viele andere Quellen tierischen Proteins. Die Ausschöpfung der nachhaltigen Nutzungspotenziale der Fischbestände ist also ein vernünftiger Bestandteil einer verantwortungsvollen Klimapolitik. Ohne eine Hinwendung der Politik zu einem verantwortungsvollen Management ehemals seltener Arten sind hier aber keine Fortschritte zu erzielen.

[1] Pietrock, M.; Sternberg, N. 2021. Analyse von Speiballen zur Ermittlung der Nahrungszusammensetzung von Kormoranen in den Gebieten Plöner Seen, Untertrave und Schlei. Bericht im Auftrag des Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitali-sierung des Landes Schleswig-Holstein. Institut für Binnenfischerei e. V. Potsdam-Sacrow, 90 pp.

Quelle: Deutscher Fischerei-Verband e.V.