Leibniz-IZW-Studie enthüllt Vielschichtigkeit der Wolfsrückkehr nach Deutschland

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) präsentiert eine detaillierte Analyse, die die Wiederbesiedelung des ursprünglichen Lebensraums durch Wölfe in den letzten 20 Jahren beleuchtet.

Wölfe bevorzugen weitreichende Wälder mit genügend Deckung als Lebensraum, wenn Sie die Wahl haben. (Symbolbild: Tomáš Seman auf Pixabay)
Wölfe bevorzugen weitreichende Wälder mit genügend Deckung als Lebensraum, wenn Sie die Wahl haben. (Symbolbild: Tomáš Seman auf Pixabay)

Die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland, die vor rund 23 Jahren in der Lausitz begann, ist ein komplexer Prozess von enormer ökologischer und gesellschaftlicher Tragweite.

Eine Untersuchung, unter der Leitung des Leibniz-IZW, vergleicht verschiedene räumliche Modellierungsverfahren auf der Basis von Verbreitungsdaten aus zwei Jahrzehnten. Das Forschungsteam, bestehend aus Wissenschaftlern des Leibniz-IZW, des LUPUS Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Technischen Universitäten in Dresden und Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, des Bundesamts für Naturschutz sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, verfeinerte dabei die Modellierungsergebnisse von 2020, die das Bundesamt für Naturschutz veröffentlichte.

Bei hoher Wolfsdichte werden auch vergleichsweise schlechte Habitate besiedelt

Die Wölfe kehren nicht nur zurück, sondern passen ihre Habitatpräferenzen im Laufe der Wiederbesiedelung an. Von hohen Ansprüchen in den frühen Phasen des Prozesses entwickeln sie vergleichsweise geringere Ansprüche in den späten Phasen. Die Erkenntnisse verdeutlichen die Dynamik und Komplexität dieses ökologischen Phänomens.

„Es besteht Grund zur Annahme, dass die Wiederbesiedelung Deutschlands durch den Wolf kein sogenannter stationärer Prozess ist, sondern von sich verändernden Rahmenbedingungen geprägt ist“, erklärt Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW. „Stationäre Prozesse würden in diesem Fall bedeuten, dass die Wölfe in den Regionen, in die sie neu vordringen dieselben oder sehr ähnliche Umweltbedingungen vorfinden – und dass sie in allen Phasen des Wiederbesiedelungsprozesses in gleicher Weise auf die Umweltbedingungen reagieren.“ Beides stand im Falle der Wiederbesiedelung Deutschlands durch den Wolf in Zweifel: Zum einen unterscheiden sich Ostdeutschland und bspw. das Rhein-Ruhr-Gebiet erheblich in Bezug auf die Dichte menschlicher Infrastrukturen, zumdem zeigen Wölfe womöglich unterschiedliche oder unterschiedlich stark ausgeprägte Habitatpräferenzen, je nachdem ob es sich um eine frühe, erste Phase oder eine späte Sättigungsphase der Wiederbesiedelung handelt.

„Wir sehen uns in zweierlei Hinsicht bestätigt“, schließen Planillo und Kramer-Schadt. „Zum einen erweisen sich unsere Hochrechnungen von 2020 im Wesentlichen als zutreffend. Zum anderen zeigen die teilweise deutlichen Unterschiede der Modellprognosen verschiedener räumlicher Phasen des Prozesses, dass dieser tatsächlich nicht stationär verläuft“, so die Autorinnen und Autoren. „Wölfe sichern sich bei der Wiederbesiedlung eines Gebietes immer die besten Habitate zuerst, die Sahnestücke sozusagen. Es scheint also so, als seien sie sehr wählerisch, was die Auswahl geeigneter Umweltbedingungen betrifft. Benachbarte B-Lagen werden in späteren Phasen aber ebenso zuverlässig besiedelt, in vielen Regionen Ostdeutschlands konnten wir das nachweisen.“ Das Team konnte damit ihre Vorhersagen validieren und verfeinern.

Wälder, Deckung und weit entfernte Straßen bevorzugt

Die wichtigsten Faktoren für geeignete Wolfslebensräume sind eine hohe Nähe zu Wäldern oder anderen Gebieten, die ausreichend Deckung bieten, sowie eine große Entfernung zu Straßen. Im Norden und Nordosten sowie im Süden Deutschlands befinden sich daher die besten Lebensräume für Wölfe, im Westen sind tendenziell Habitate von geringerer Qualität zu finden. Im Süden Bayerns und in einigen Waldgebieten Mitteldeutschlands (im Harz sowie in Spessart, Odenwald und Rhön) waren zum Zeitpunkt der Analysen noch größere Lebensräume von hoher Qualität von Wölfen unbesetzt. Es wurde als wahrscheinlich angesehen, dass dort die ersten Wölfe zunächst in Ideallagen ansässig würden – was nach aktueller Datenlage mittlerweile passiert ist – und erst später über die Zeit auch Lagen mittlerer Güte besiedeln.

Die Ergebnisse betonen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung für die Modellierung von Lebensräumen expandierender Arten. „Mit Blick auf unsere neuesten Modellierungen und ähnlichen Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern, wo bei hoher Wolfsdichte auch qualitativ minderwertigere Lebensräume dauerhaft genutzt werden, sind bisherige Habitatmodellierungen wohl in der Tendenz zu konservativ“, sagt Kramer-Schadt.

Die Wissenschaftler fordern eine umsichtige Durchführung räumlich-zeitlicher Hochrechnungen für die Lebensraumexpansion von Arten wie dem Wolf. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, verlässliche Prognosen über die zukünftige Verbreitung von Wölfen in Deutschland zu entwickeln und damit eine nachhaltige Koexistenz zwischen Mensch und Wolf zu fördern.

Publikation

Planillo A, Wenzler-Meya M, Reinhardt I, Kluth G, Michler F, Stier N, Louvrier J, Steyer K, Gillich B, Rieger S, Knauer F, Kuemmerle T, Kramer-Schadt S (2023): Understanding habitat selection of range-expanding populations of large carnivores: 20 years of grey wolves (Canis lupus) recolonizing Germany. Diversity and Distributions 00, 1–16. https://doi.org/10.1111/ddi.13789