Biodiversität & Landwirtschaft im Einklang

Hybride Intelligenz: Forscherteam entwickelt neuartigen transdisziplinären Ansatz, um Zielkonflikt zwischen Biodiversität und Agrar-Produktion aufzulösen

Symbolbild: Universität Hohenheim / firefly.adobe.com (KI generiert)

Ein Forschungsteam der Universität Hohenheim und der Technischen Universität München entwickelt einen Ansatz, der das Dilemma zwischen Biodiversitätserhalt und Agrarproduktivität auflösen könnte. Der innovative Ansatz, veröffentlicht in der Zeitschrift Nature Food, nutzt hybride Intelligenz – eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz und menschlichem Urteilsvermögen –, um die komplexe Dynamik zwischen menschlichen Aktivitäten und Umweltauswirkungen zu verstehen und zu optimieren.

Die Herausforderung: Biodiversität vs. Agrarproduktion

Die bisherigen Ansätze zur Lösung des Zielkonflikts zwischen dem Erhalt der Biodiversität und der Notwendigkeit landwirtschaftlicher Produktivität scheiterten oft an der Komplexität des sozialökologischen Systems. Die Kluft zwischen kurzfristigen ökonomischen Zielen auf Betriebsebene und langfristigen ökologischen Auswirkungen auf Landschaftsebene, erschwerte eine effektive Planung und Umsetzung von nachhaltigen Agrarumweltmaßnahmen kolossal.

„Uns stehen zwar immer mehr Daten aus der Nah- und Fernerkundung sowie diversen statistischen Erhebungen zur Verfügung, aber wir können sie bisher nicht recht zur Problemlösung nutzen, weil die Datenquellen unzusammenhängend und stark fragmentiert sind“, so Prof. Dr. Thomas Berger, Agrarökonom an der Universität Hohenheim und Erstautor der Veröffentlichung.

„Eine weitere Herausforderung sind die unterschiedlichen Planungshorizonte: Landwirtschaftliche Praktiken richten sich nach kurz- und mittelfristigen ökonomischen Zielen auf der Feld- und Betriebsebene, also auf der Skala von 1 Hektar bis 100 Hektar. Die langfristigen ökologischen Auswirkungen zeigen sich dagegen auf der Landschaftsebene von 100.000 Hektar.“

Aus ökologischer Sicht sei es deshalb notwendig, die Landschaftsebene zu betrachten und die Interaktionen von vielen landwirtschaftlichen Betrieben räumlich und zeitlich besser zu verstehen. „Bei Agrarumweltmaßnahmen gibt es wenig betriebsübergreifende Koordination“, ergänzt Prof. Dr. Senthold Asseng vom Lehrstuhl „Digital Agriculture“ der Technischen Universität München. Die bisherigen Förderprogramme in der Agrar- und Umweltpolitik seien kaum darauf ausgelegt, biodiversitätsfreundliche Synergien unter Landwirten, zwischen Landwirten und anderen Akteuren sowie in der Wissenschaft zu ermöglichen.

Auch aus sozialwissenschaftlicher Sicht sei das Problem sehr herausfordernd, so Prof. Dr. Claudia Bieling vom Hohenheimer Lehrstuhl für Gesellschaftliche Transformation und Landwirtschaft: „Wir haben hier die klassische Konstellation eines sozialen Dilemmas. Warum sollten einzelne Akteure von sich aus auf Produktivität verzichten, wenn doch das gemeinsame öffentliche Gut des Artenschutzes vielen anderen Akteuren kostenfrei zugutekommt?“ Auch in anderen Wirtschaftsbereichen gäbe es ähnliche, sich selbst blockierende Konstellationen, z.B. in der Kreislauf- und Abfallwirtschaft sowie in Energie und Verkehr.

Symbolbild: Universität Hohenheim / firefly.adobe.com (KI generiert)
Symbolbild: Universität Hohenheim / firefly.adobe.com (KI generiert)

Lösung durch hybride Intelligenz

Die Forscher zeigen jetzt jedoch auf, dass durch den Einsatz von hybrider Intelligenz, die das Beste aus menschlicher Intuition und der Rechenkraft moderner KI-Systeme vereint, ein neues Level der Problembehandlung möglich wird. Multi-Agenten-Technologie und KI werden genutzt, um ein detailliertes virtuelles Abbild landwirtschaftlicher Ökosysteme zu erstellen, in dem verschiedenste Szenarien simuliert und optimale Lösungen gefunden werden können.

Subventionsdilemma als Praxisbeispiel für Hybride Intelligenz

Praktische Umsetzungen dazu erläutern die Autoren in mehreren Anwendungsbeispielen, z.B. bei der Neuorganisation von Ausgleichszahlungen an Gruppen von Landwirten statt an einzelne Betriebe.

„Von der EU gibt es diverse Fördermittel für Maßnahmen zum Artenschutz, z.B. indem Landwirte Geld dafür erhalten, Blühstreifen anzulegen“, erläutert Prof. Dr. Asseng. „Bislang legt jeder Betrieb für sich und ohne Koordination mit den Nachbarn die Blühstreifen irgendwo an. Insgesamt gesehen bleiben die Blühstreifen so ein zersplittertes Phänomen mit begrenzter Wirksamkeit.“

Vielversprechender seien Gruppenzahlungsprogramme für landwirtschaftliche Betriebe, die ihre Blühstreifen auf Landschaftsebene mit dem Einsatz Hybrider Intelligenz koordinieren.

Diese könne in einem ersten Schritt komplexe Daten über Bodenbeschaffenheit, lokale Biodiversität und ähnliche Faktoren analysieren und so die Standorte identifizieren, an denen betriebsübergreifende Umweltmaßnahmen besonders effektiv und die Ernteeinbußen möglichst gering wären.

In einem zweiten Schritt

könnten KI-Systeme z.B. Kommunikationsplattformen bereitstellen, die den Informationsaustausch und die Planung von gemeinsamen Projekten erleichtern. „Ein weiteres Ziel wäre ein fairer Ausgleich zwischen allen Beteiligten, z.B. durch neuartige Auktionsmechanismen für Subventionen“, fügt Prof. Dr. Berger hinzu.

Das virtuelle Abbild ihres Lebens- und Wirtschaftsraumes würde Akteuren aus Landwirtschaft, Beratung und Politik die Möglichkeit geben, die Maßnahmen im Vorfeld einer möglichen Implementierung auszuprobieren. „So ließen sich die Auswirkungen auf die Biodiversität und ihre Erträge besser abschätzen und die Kosten für alle Beteiligten minimieren“, meint Prof. Dr. Bieling.

Vor allem könnte KI als automatisierter Moderator dienen, der die Diskussionen innerhalb der Gruppe verfolgt und durch das Einbringen von Informationen oder alternativen Perspektiven die Entscheidungsfindung verbessert. „Die Fähigkeiten von sogenannter Generativer KI bei der Sprachverarbeitung und -erzeugung neuer Inhalte erleben wir gerade beim Einsatz von ChatGPT. Dies kann besonders nützlich sein, um sicherzustellen, dass in Gruppendiskussionen alle relevanten Informationen berücksichtigt und kreative Lösungen für Probleme gefunden werden“, erklärt Prof. Dr. Henner Gimpel, Inhaber des Lehrstuhls für Digitales Management der Universität Hohenheim.

Vertrauen und Transparenz als Grundpfeiler

Die Technologie muss transparent und partizipativ gestaltet sein, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen. Ethische Aspekte und die verantwortungsvolle Nutzung von KI sind entscheidend für den Erfolg des Ansatzes.

Ausblick und Forschungsbedarf

Die hybride Intelligenz bietet vielversprechende Möglichkeiten, die drängendsten Herausforderungen in der Landwirtschaft anzugehen. Doch es besteht weiterhin Forschungsbedarf, um diese Technologie weiterzuentwickeln und erfolgreich zu implementieren. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft ist hierbei essenziell.

Weitere Informationen zum Thema

Für detaillierte Informationen und die vollständige Studie besuchen Sie Nature Food: https://www.nature.com/articles/s43016-024-00963-6