Typisch norddeutsch: Die Jagd auf Möwen

„Viele kennen die Möwe als den frechen Vogel, der einem das Eis aus der Hand klaut. Dass die Silbermöwe aber ein großer Räuber ist, ist nicht jedem klar.“

Typisch norddeutsch: Die Jagd auf Möwen

Andre Staack

Möwe im Flug
Möwe im Flug

Ob Möwenfreund oder Möwenfeind – fest steht, dass die große weiße Silbermöwe doch gar nicht so eine weiße Weste hat. Nicht ohne Grund eilt ihr der Ruf voraus, ab und an frech, dreist und übergriffig zu sein. Doch was richtet die Silbermöwe eigentlich genau für Schäden an? Und wie ist damit umzugehen? In Schleswig-Holstein darf der Vogel zumindest während ein paar Wochen des Jahres bejagt werden. Viele Waidmänner gibt es nicht, die sich mit der Populationsbegrenzung von Möwen beschäftigen. Andre Staack ist einer von ihnen. Der passionierte Jäger verbringt in der Möwenjagd-Zeit jedes zweite Wochenende damit, die durch sie entstehenden Schäden in einem Kieler Industriegebiet zu begrenzen. Outfox-World hat ihn auf einen Ansitz begleitet und im Interview Spannendes zum Thema erfahren.

„Was wir hier gerade tun, ist eine reine Hegemaßnahme und damit reiner Naturschutz“, erklärt der 38-Jährige mit Nachdruck, während er neben mir auf seinem Hocker sitzt. Sein Blick schweift über den Himmel und bleibt immer wieder an den vorbeifliegenden Vögeln hängen. Der Hunger der Sibermöwe gefährdet hier die Bestände der Wiesenbrüter und Küstenbrüter wie beispielsweise Feldlerche, Kiebitz, Strandläufer und Ente nicht unerheblich. Eine übermäßig große Anzahl an Möwen bringt das natürliche Gleichgewicht ins Wanken, wodurch die so erwünschte Artenvielfalt nicht langfristig garantiert werden kann. Mit diesem Wissen im Gepäck tue ich es Herrn Staack gleich und beobachte die Tiere über uns. Von uns nehmen die Silbermöwen und Rabenkrähen keine Notiz, da wir uns, in Tarnkleidung gehüllt und hinter entsprechend bedruckten Tarngardinen sitzend, kaum von der Landschaft um uns herum abheben. Diese speziellen Stoffe hat Staack zuvor wie ein Zelt recht stramm aufgespannt, damit sie der norddeutschen frischen Brise trotzen. Eine mit dunklen Naturtönen und Tarnmustern bedruckte Bahn schottet uns nach hinten ab. Sie gleicht dem Aussehen der Hecken an dieser Stelle. Nach vorne in Richtung Feld hat der Jäger eine hellere Stoffbahn ausgewählt, die mehr Grüntöne enthält. So fühlt es sich an, als wären wir eins mit der Vegetation rundherum.

Gut getarnt bei der Möwenjagd
Gut getarnt bei der Möwenjagd
Silbermöwen und Rabenkrähen
Silbermöwen und Rabenkrähen

Was das Interesse der Vögel weckt, ist das auf dem Feld aufgebaute Lockbild. Eine Gruppe einzelner Attrappen in Form von Krähen und Möwen ist in rund 30 Metern Entfernung aufgestellt und bietet genügend Anreiz. Auf diese Weise locken Andre Staack und seine befreundeten Jagdkameraden die Tiere in den Morgenstunden in ihre Nähe. „Wir bauen im Dunkeln auf, sodass wir bereit sind, wenn die Möwen zum Tagesanbruch aus der Stadt aufs Land fliegen, um dort nach Futter zu suchen. Insbesondere hier am Industriegebiet mit dem Schlachthof und den großen Mengen an Müll ziehen sie vorbei“, so Staack. Die Möwe ist also ein wunderbares Beispiel für den Begriff des Kulturfolgers. Pro Saison erlegen die Jäger in diesem Revier ungefähr um die 35 Möwen. Ich lerne von dem erfahrenen Jäger, dass die weißen Seevögel sich, verglichen mit Rabenkrähen, um einiges tollpatschiger anstellen. Offenbar sind sie sich der Gefahr durch den Jäger nicht ganz so bewusst und dadurch weniger schnell vergrämt. Aber selbst wenn, so kommen in diesem Revier in den Morgenstunden wie am Fließband immer wieder neue Tiere vorbeigeflogen, um nach Nahrung Ausschau zu halten.

Das, was ich heute begleiten darf, erscheint mir als eine relativ einfache Form der Jagd. Mit dem Anlocken der Vögel ist das Meiste bereits getan. Von da an heißt es nur sitzen und warten, bis die Tiere sich auf eine passende Distanz nähern. Da sie, anders als andere Wildtiere, den gut getarnten Menschen auch nicht wittern, ist dieser Zustand leicht erreicht. Selbstverständlich muss dann der Gebrauch der Waffe einwandfrei sitzen. Um dies zu erlernen, gibt es aber ja bekanntlich Schießstände. „Viele kennen die Möwe als den frechen Vogel, der einem das Eis aus der Hand klaut. Dass die Silbermöwe aber ein großer Räuber ist, ist nicht jedem klar. Sie nimmt sich alles, was sie bewältigen kann. Damit reicht ihre Beute von Hausmüll über Singvögel und Wasservögel bis hin zu Junghasen. Selbst wenn wir bestandsregulierend eingreifen, ist es doch schwierig, die Population tatsächlich einzudämmen“, schätzt der Kieler die Lage ein. „Man kann nur hoffen, dass wir die Möwen weiterhin bejagen dürfen. In diesem Punkt sind wir allerdings abhängig von der Politik, die über Jagdzeiten entscheidet. Die Freigabe für die Rabenkrähe haben wir damals zu Zeiten der CDU-FDP-Regierung unter Peter Harry Carstensen erhalten.“

An dieser Stelle frage ich mich, ob es für die aktuelle Regierung Argumente gibt, die gegen die Möwenjagd sprechen, und ob es, ähnlich wie bei anderen Formen der Jagd, Vorurteile gegenüber den Möwenjägern gibt. „Da die Möwen nur im Außenbereich bejagt werden, haben wir an sich keine Begegnungen mit Kritikern. Abgesehen davon, handelt es sich hier nicht um eine Trophäenjagd, sondern um Schadwildjagd. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb nicht viele Jäger sich damit befassen. Man braucht neben dem Equipment auch die Lust dazu, sich bei Wind und Wetter in den frühen Morgenstunden hier einzufinden. Und natürlich muss man schon ein guter Flintenschütze sein, sonst bringt das hier nichts“, erklärt der engagierte Jäger lachend. Das leuchtet mir ein. Als all meine Fragen beantwortet sind, packen wir das Zubehör in Ruhe ein und treten den Rückweg zum Auto an. Hochinteressant, was man bei der Möwenjagd alles beachten muss, denke ich. Von nun an werde ich sie mit anderen Augen sehen, die kreischenden Möwen, die durch die stürmischen Böen an der Ostsee segeln.

Andre Staack kontrolliert die Tarnung
Andre Staack kontrolliert die Tarnung