Gedächtnisleistungen bei Wildtieren

Gedächtnisleistungen bei Wildtieren 

Erfahrene Alttiere, Schlaue Füchse, Heimliche Böcke

Ein Beitrag von Burkhard Stöcker, Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern

Zwei Hirsche (Foto: Burkhard Stöcker)
Zwei Hirsche (Foto: Burkhard Stöcker)

Mitte Februar – „Wild gibt’s keines mehr in deutschen Revieren“: man sieht keine Rehe, die Schweine beschränken ihre Aktivitäten auf die tiefdunklen Nachtstunden und unser größter heimischer Säuger das Rotwild ist wie vom Erdboden verschluckt…

Eine Jagdsaison liegt hinter unseren Wildtierpopulationen und im Laufe dieser Monate haben sie wieder viel gelernt: es kann gefährlich sein Homo sapiens sapiens zu begegnen vor allem in den Zeiten, in denen die Sonne sich knapp unterhalb oder knapp über dem Horizont bewegt. So erleben wir es am Ende jeder Jagdsaison – bzw. eigentlich erleben wir dann ja eher: Gar nichts!

Zentrum des Serengeti Nationalparks Tansania, seit Jahrzehnten jagdfreie Zone: eine riesige Büffelherde hat uns eingekreist und äst friedlich um den Landrover herum – zum Wiederkäuen lassen sich einige direkt neben dem Fahrzeug nieder…

Wenige km südwestlich, Maswa Game Reserve (Jagdgebiet!) – das Einzige, was wir von Büffeln sehen sind Staubwolken am Horizont.

Das „edengleiche“ Bild aus der Serengeti verdeutlicht den sogenannten „Nationalparkeffekt“ – sobald Wild nicht mehr bejagt wird, erkennt es den Menschen nicht mehr als Feind und hält kaum, bis keine Fluchtdistanz mehr ein. Der bekannte Forstmann und Jäger Georg Sperber hat schon vor Jahren treffend gesagt: „Freilebende Tiere werden erst durch die Jagd zum Wild“ – sprich: Scheu!

Nach jeder Jagdsaison haben wir in Deutschland immer einen sich langsam und zäh wiederaufbauenden „Nationalparkeffekt“ und zum Ende der jagdfreien Zeit ist das Wild wieder vertraut und häufig tagaktiv. Und wir nutzen dieses Phänomen ja auch in der täglichen Jagdausübung, ja auch im Management unserer Reviere. Vor der Brunft halten wir in aussichtsreichen Revierteilen Ruhe, ebenso vor großen Drückjagden oder im potenziellen Feisthirscheinstand schon den Sommer über.

Andererseits: tauchen wir spontan mal wieder in wenig bejagten Revierteilen auf, überrascht uns häufig tagaktives, vertrautes Wild. Das heißt, wir gehen auch schon bewusst davon aus, dass die schlechten Erfahrungen, die das Wild mit uns gemacht hat verblassen, wenn schon geraume Zeit nach dem Negativereignis ins Land gegangen ist.

Im Grund wissen wir jedoch verschwindend wenig über die Welt von Erfahrung, Lernen und Erinnern unserer Wildtiere – zumeist sind es Beobachtungen und Erfahrungen aus dem täglichen jagdlichen Erleben oder aus den zum Thema leider sehr dünn gesäten Studien der Wildbiologie.

Die Voraussetzung jeder höheren Leistung ist das Gedächtnis, zumindest bei allen Tieren mit zentralisiertem Nervensystem. Selbst so primitive Gattungen wie Pantoffeltierchen sammelten sich um einen Platindraht der wiederholt beködert wurde – die Tierchen mussten gelernt haben, dass es dort mehr zu futtern gab als anderswo! Die Lernleistung von Wirbeltieren ist grundsätzlich mit der Gehirngröße korreliert. Dabei sind die absolute Gehirngröße und die Anzahl der Verknüpfungen von größerer Bedeutung als die systematische Stellung des Tieres. Arten auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe, aber mit einem größeren Gehirn, können lernfähiger sein als höher entwickelte Arten mit kleinerem Gehirn. Die Speicherung von Erfahrungen erfolgt bei Säugern meist im sogenannten Neocortex, einem Teil der Großhirnrinde.

Platon hatte vor 2400 Jahren folgende Vorstellungen vom Gedächtnis: In unseren Seelen befindet sich etwas, das die Eigenschaft von Wachs habe – was sich nun abdrückt, daran erinnern wir uns. Wurde es aber gelöscht oder konnte es auch gar nicht eingedrückt werden, so vergessen wir die Sache und wissen sie nicht. Das Wachs war nach Platons Vorstellung ein Geschenk Mnemosynes, der Mutter der Musen.

Jahrelang haben Gehirnforscher nach dem zu lokalisierenden Gedächtnisplatz gesucht – dem klar abzugrenzenden „Wachsblock des Platon“. Inzwischen wissen wir, dass es zumindest im menschlichen Gehirn einen klar abgrenzbaren Raum für das Gedächtnis nicht gibt – offenbar stehen vier verschiedene Gedächtnissysteme in komplizierter Wechselwirkung zueinander!

Ein früher sehr beliebter Indikator für die Lern- und Gedächtnisfähigkeit eines Lebewesens war seine Gehirn-/Körper-Relation. Hier stößt man allerdings bei genauerem Hinsehen auf Ungereimtheiten: Das Mäusehirn nimmt ein Gewicht von 3,2% ein – wir Menschen bringen es gerade mal auf knapp über 2% und es wird ja wohl kaum jemand behaupten wollen, die kleinen Nager wären schlauer als wir. Hiernach liegt auch der Hund mit knapp 0,59 % noch vor dem Wolf mit 0,52 % – und wir wissen ja, das mit zunehmender Domestizierung von Lebewesen ihre Gehirnleistungen abnehmen. Geeigneter scheint daher der sogenannte „Cebralisationsindex“: Dies ist das Verhältnis zwischen stammesgeschichtlich jüngeren, hochentwickelten Gehirnbereichen und älteren, ursprünglichen Gehirnteilen. Hier liegt bspw. der Kolkrabe mit 18,95 deutlich vor der Stockente mit 6,08 und dem schon fast als dümmlich anmutenden Fasan mit 3,18. Der Fuchs liegt mit 16,8 deutlich vor Wildschwein (14,1) und Iltis (12,9) – am schlauen Fuchs ist also offenbar was dran. Menschenaffen bringen es auf 49, Indische Elefanten auf 104 und knapp hinter dem Menschen mit 170, rangiert der Delphin mit 121.

Natürlich ist gerade das Gedächtnis ein zentraler Pfeiler für die Überlebensfähigkeit eines Lebewesens. Nur wenn ich einmal gelerntes auch behalte, kann ich dieses in Zukunft in mein Handeln integrieren und meine Überlebensfähigkeit damit erhöhen. Günstige Nahrungs- und Überwinterungsplätze, tradierte Wanderwege, die wiederkehrenden Jahreszeiten, Erfahrungen mit Feinden, gefährliche Orte etc. etc. – Erfahrungen sind ohne ein funktionierendes Gedächtnis gar nicht denkbar und die Überlebenswahrscheinlichkeit gleich null…

Zu Anfang ihres Lebens übernehmen Jungtiere einfach die Verhaltensweisen ihrer Eltern. Sie lernen überwiegend durch Nachahmung. Später kommen eigene Erfahrungen hinzu, die mit dem nachgeahmten Verhalten kombiniert werden. Vieles aus dem so erlernten Verhalten wird irgendwann zum Automatismus, der ohne große Reflexion einfach abläuft. Je länger der Erfahrungszeitraum andauert, d.h. je älter ein Tier ist, desto optimaler kann es auf die verschiedensten Situationen reagieren, da es schon viele oder ähnliche durchlebt hat. Vor diesem Hintergrund ist es auch völlig klar, dass nur ältere Tiere „Leittiere“ in Gruppen sein können – Jungtieren fehlt der Erfahrungsschatz und das könnte für die gesamte Gruppe fatal enden.

 

Lesen Sie morgen mehr über die Gedächtnisleistungen unserer Wildtiere und erfahren, wie es beim Schwarzwild und beim Rotwild damit bestellt ist.

Ein Beitrag von Burkhard Stöcker, von unserem Premiumpartner, der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.

Logo der Stiftung Wald und  Wild in Mecklenburg-Vorpommern
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