Der deutsche Wald (I): Nachhaltig aus Tradition

Der deutsche Wald (I): Nachhaltig aus Tradition

In sechs Teilen tauchen wir tief in die Welt des Waldes ein – in seine Tradition, seine Wirtschaftlichkeit und seine „Mitarbeiter“. Lassen Sie sich überraschen von der Vielseitigkeit des deutschen Waldes!

Wald im Sonnenuntergang
Wald im Sonnenuntergang

Der Wald ist eines der Deutschen liebsten Kinder. Schauplatz von Sagen, Märchen und Emotionen ist er seit Menschengedenken. Dazu Geburtsstätte des Begriffs der Nachhaltigkeit, schon vor gut 300 Jahren. Und eine noch immer sichere Bank für Investoren: Der Holzverbrauch steigt in Riesenschritten, der Holzpreis ebenfalls.

Begehrte Einnahmequelle

Kein anderer Wirtschaftszweig steht derart für den Zwang, Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen. Der Wald ist wichtig für das Klima, im Kleinen wie aus globaler Sicht. Holz gewinnt im Zeichen der Energiewende neue Bedeutung als Energieträger und kommt auch als Bio-Baumaterial wieder groß in Mode. Die heimische Holzproduktion in Deutschland deckt kaum noch mehr als die Hälfte des heimischen Verbrauchs.

Rund 1,1 Millionen Deutschen gibt die Holzwirtschaft Brot und Arbeit. Mittlerweile steht in jedem zweiten Haushalt zumindest ein Holzofen. Der Brennholzpreis hat sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt, für Großstadt-Kunden eher verdreifacht. Biologen beklagen, dass nicht einmal mehr genug Holzabfälle im Wald verbleiben, um dort für natürliche Düngung zu sorgen.

Mit Bayern voran hat auch die Politik den Staatswald als Einnahmequelle entdeckt. Aus den einstmals eher beschaulichen Forstämtern werden Profit-Zentren, streng ausgerichtet nach betriebswirtschaftlicher Effizienz. Sogar das Wild wird zum Konkurrenten, weil es dem Ertrag schadet. „Wald vor Wild“ ist zum Schlagwort geworden, nicht nur zum Leidwesen der Jäger.

Weitgehend unbemerkt von der Masse der Bürger entwickelt sich ein Kulturstreit um den wahren Wert der Wälder. So sehr die Öko-Szene um die Vorteile des Rohstoffs Holz weiß, so sehr betrachtet sie die industrielle Nutzung als Bedrohung. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach artenreichen Mischwäldern, auf der anderen der Bedarf an hochproduktiven Holz-Plantagen. Wobei kaum zu bestreiten ist, dass auch Letztere ihren Beitrag zum Schutz des Weltklimas leisten.

Kaum ein anderes europäisches Land steht wegen seiner forstwirtschaftlichen Methoden mehr in der Kritik als Schweden. Die dort bis heute gebräuchlichen Kahlschläge gelten als Symbol für naturferne Nutzung. „Es gibt nur noch etwa zehn Prozent ursprüngliche oder zumindest naturnah erhaltene Waldgebiete inmitten der endlosen, monotonen Industrieforsten“, klagt die Naturschutzorganisation „Robin Wood“.

Was gern verschwiegen wird: Wie Deutschland gehört Schweden zu den weltweit wenigen Ländern, die nachhaltige Forstwirtschaft per Gesetz festgeschrieben haben. Der Einschlag darf den Zuwachs nicht überschreiten. Eine Lehre aus bitterer Erfahrung: Gerade die heute waldreichsten Regionen Schwedens waren zu Beginn des Industriezeitalters nahezu abgeholzt, um den Holzkohle-Hunger der Eisen- und Stahlproduktion zu stillen. Ein wichtiger Grund für die schwedische Massenauswanderung nach Amerika.

Wahr ist zudem, dass die Kahlschlagwirtschaft durchaus nicht nur negative Folgen hat. Auf den vermeintlichen Brachen entwickeln sich binnen weniger Jahre neue Lebensgemeinschaften, zum Beispiel ideale Biotope für das in Mitteleuropa aussterbende Birk- und Auerwild ebenso wie Äsungsflächen für Rehe und Elche.

Deutsche Urlauber scheinen den schwedischen Wald zudem so zu lieben, wie er ist: Ziemlich aufgeräumt, aber mit Pilzen und Beeren in hierzulande unglaublichen Mengen und mit Tierarten, die in Mitteleuropa kaum noch anzutreffen sind. Vom Sperlingskauz bis zu den Bären und Wölfen. Aber eben auch mit dem höchsten Anteil an den deutschen Holzimporten – bis hin zum Klopapier.

Zum Blick nach Norden gehört abschließend auch der globale Klimawandel. Die Erwärmung wird als wesentliche Ursache des vermehrten Vorkommens von Forstschädlingen diskutiert, die früher in Skandinavien eher selten waren. Eindringlicher lässt sich kaum illustrieren, dass es um eine weltweit vernetzte Problematik geht. Dass der Raubbau am tropischen Regenwald wohl bis in die subarktischen Regionen unserer Erde wirkt.

Weltweite Problematik

Da wirkt es gar nicht mehr so lächerlich, wenn sich südamerikanische Öko-Aktivisten über die wachsende Lust auf Avocado-Früchte beklagen. Der mit der Veggie-Welle sprunghaft steigende Verbrauch der fettreichen Modefrüchte verdrängt den Wald in durchaus nennenswertem Umfang, klagt die mexikanische Umweltschutzorganisation „Gira“: „Pro Jahr werden 1500 bis 4000 Hektar Wald gerodet, um Platz für Avocado-Felder zu schaffen.“

Die „Zeit“ hat unlängst in einer bemerkenswerten Analyse vorgerechnet, dass in die Produktion von einem Kilogramm Avocado rund 1000 Liter Wasser fließen und in den (Kühl-)Transport zu den Abnehmerländern ziemlich ungeheure Mengen Energie. Was die Öko-Bilanz kaum besser aussehen lässt als die von Import-Rindfleisch.

Schizophrene Verbraucher

Das deutsche Spendenaufkommen zur Rettung des Regenwaldes geht jährlich in Millionenhöhen. Während zugleich die Macher des Öko-Labels „Holz von hier“ mangelnde Verbraucher-Sensibilität für den Klimaschutz-Vorteil kurzer Transportwege auch beim Rohstoff Holz beklagen. Und der Raubbau längst den Kontinent erreicht hat – vor allem in Sibirien und Karelien, und das mit internationalen Umwelt-Zertifikaten.

Wie sehr sich Umweltbewusstsein und echte Ökologie beim Thema Wald in die Quere kommen, belegt der Energie-Sektor. Längst haben große Mineralölkonzerne den „Biosprit“ als Geschäftsfeld erkannt. Palmöl wird im großen Stil gewonnen und verdrängt die natürliche Vegetation, gerade in den tropischen Regenwäldern, nicht nur in Indonesien. Und nicht selten auch als Brennstoff in europäischen Blockheizkraftwerken, die auch im Zeichen der Energiewende Konjunktur haben.

Wenn sich manche Ökologen nach mehr Urwald in Europa sehnen, geht es nicht nur um Artenschutz für seltene Tiere oder Pflanzen, sondern auch um den Naturgenuss. Er zählt zu den Wertschöpfungsfaktoren des Waldes, für die Waldbesitzer bisher keinen Cent bekommen. Dazu gehört nicht nur der Nutzen als Freizeit- und Erholungsraum, sondern auch die Eigenschaft als Wasserspeicher und Katalysator für das Umweltgift Kohlendioxid. Nicht nur global, sondern durchaus auch regional.

Mit gut elf Millionen Hektar bedeckt Wald ein Drittel des deutschen Bodens, in Skandinavien sogar rund die Hälfte des Landes. Gerade in den Gebirgsregionen kommt ihm überragende Bedeutung als Schutzwald zu – gegen Lawinen und Hochwasserereignisse, die mit dem Klimawandel an Bedeutung zunehmen. Und mit Problemen, die durch Menschenhand entstehen. Etwa dadurch, dass der Siedlungsbau in den Tälern Hirsch und Gams in die Bergwälder verdrängt, in denen das Schalenwild notgedrungen wachsende Schäden anrichtet.

Der Wandel im Ökosystem Wald bedroht also auch den Artenschutz vor unserer Haustür. So wie der Energiemaisanbau die Schwarzwildbestände explodieren und die Bienen aussterben lässt. Jagd als uralter Nahrungserwerb seit der Steinzeit wird plötzlich zum Störfaktor, wenn Jägerinnen und Jäger um das Überleben ihrer Beutetiere fürchten müssen, weil der Wald als hergebrachter Lebensraum der Wildtiere zunehmend hinterfragt wird. Im Prinzip nicht wesentlich anders als das Schicksal der Orang-Utan-Affen in den Regenwäldern.

Falsche Akzente

Die vermeintlich aufgeklärte Moderne sorgt sich derweil mehr um seltene Vögel, die in den Rotoren von Windkraftwerken umkommen. Und weniger um die Frage, ob eine Holznutzung Zukunft hat, die einen höchst haltbaren Baustoff als Hackschnitzel oder Pellets durch die Schornsteine jagt. Und auch die Biosprit-Mode mit dem Hinweis rechtfertigt, dass Pflanzenenergie eine neutrale Umweltbilanz vorzuweisen habe.

In der Tat neutralisieren Bäume jene Menge Kohlendioxid, die ihre Verbrennung freisetzt. Aber der Wald braucht dazu Generationen. Und die Menschheit ist dabei, ihm dafür nicht mehr die nötige Zeit und den nötigen Platz zu lassen.

Auf dem Spiel steht auch eine Wertschöpfung, die allein in Deutschland jährlich bei 180 Milliarden Euro liegt und damit fast den weltweiten Umsatz des Volkswagen-Konzerns (200 Milliarden Euro) erreicht. Der Naturschutzbund Nabu fordert indes eine Umkehr weg von der industriellen Nutzung. „Energie aus Holz zu gewinnen, ist eine der großen Gefahren für unseren Wald“, sagt der Nabu-Forstexperte Stefan Adler.

Entscheidungsschlachten

Zusammen mit anderen Umweltverbänden fordert der Nabu, zehn Prozent des Staatswalds und fünf Prozent der Privatwälder aus der kommerziellen Nutzung zu nehmen. Solche Urwälder gibt es in Deutschland momentan nur noch in wenigen Nationalparkbereichen – und dort nur auf vergleichsweise winzigen Flächen. Um die letzten großen Urwälder Europas zu erleben, müssen Fans in die Karpaten reisen – oder gleich nach Sibirien, wo derzeit die großen Entscheidungsschlachten um die letzten naturbelassenen Wälder des Kontinents geschlagen werden.

Über den Ausgang entscheiden auch die deutschen Konsumenten. Zum Beispiel an der Kasse beim Möbel-Discounter. Und sogar beim Kauf der Holzkohle für den Garten-Grill. Da kommen gerade mal zwei Prozent aus nachweislich europäischen Wäldern – und damit aus einigermaßen nachhaltigem Anbau. Wie ihn der kursächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz im Jahr 1713 unter dem Eindruck der damaligen Holznot forderte: „Wird derhalben die größte Kunst und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, dass es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe, weil es eine unentbehrliche Sache ist …“

Zuerst erschienen im Rotary Magazin. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Rotary Magazins.