„Das wird oft nicht offen kommuniziert, sondern am Stammtisch breitgetreten.“

„Das wird oft nicht offen kommuniziert, sondern am Stammtisch breitgetreten.“

Wenn es um Verbissschäden geht, haben Jäger und Landwirte oft unterschiedliche Ansichten. Wir haben einen Landwirt mit Jagdschein gefragt, wie er darüber denkt.

Peer Simon Maaß
Peer Simon Maaß

In den vergangenen Jahren müssen sich Landwirte vermehrt über Ernteausfälle und beschädigte Flächen ärgern, die vor allem durch die anwachsenden Schwarzwild-Bestände verursacht werden (wir berichteten). Wildschäden sind ein häufiges Streitthema unter Landwirten und Jägern – vor allem wenn es darum geht, wer für die Schäden aufkommen soll und welche Maßnahmen man dagegen ergreifen kann (wir berichteten).

 Der 36-jährige Peer Simon Maaß kann beide Seiten verstehen: Der Landwirt wohnt in der Gemeinde Sprakensehl in Niedersachsen. Die steigenden Schwarzwild-Bestände haben ihn dazu motiviert, das Problem selbst in die Hand zu nehmen. Um Wildschäden vorzubeugen, ist Maaß 2016 Jäger geworden. Über seine einst kritische Einstellung zur Jagd, die Zusammenarbeit von Jägern und Landwirten und über fragwürdige gesetzliche Regelungen hat er mit uns im Interview gesprochen!

Herr Maaß, Sie sind von Haus aus Landwirt und seit dem Frühjahr auch Jäger. Was ist Ihr Verhältnis zur Jagd und was genau waren Ihre Gründe, Jäger zu werden?

Die Tradition der Jagd in meiner Familie hat einige Höhen und Tiefen erlebt. Mein Großvater war passionierter Jäger, wobei man bei ihm eher von einem Heger sprechen muss. In den letzten Jahren seiner Jagdaktivität hat er es nicht mehr übers Herz gebracht, Tiere zu schießen. Dafür hat er Jagdgäste eingeladen. Er selbst ist mit dem Fotoapparat und der Videokamera auf Pirsch gegangen – sehr erfolgreich übrigens. Er war überregional für seine Filme bekannt. Mein Vater ist sehr früh Jäger geworden und war auch lange Zeit auf der Jagd. Vor etwa 20 Jahren begann er, sich so sehr über die Art der Jagd und den Umgang mit dem Wild in umliegenden staatlichen Jagden zu ärgern, dass er aus Protest keinen Jagdschein mehr gelöst hat.

Nun hat sich in der Landwirtschaft in den letzten Jahren einiges geändert. Zum Beispiel wurde der Maisanbau intensiviert, auch bei uns im Betrieb. Das war für meinen Vater der Grund, wieder einen Jagdschein zu lösen.

 Ich persönlich hatte lange Zeit ein sehr kritisches Verhältnis zur Jagd, vor allem auch geprägt durch die negativen Erfahrungen meines Vaters. Ich hatte keinen wirklichen Bezug zur Jagd und auch nicht das Bedürfnis, mich näher damit auseinanderzusetzen. Da der Druck durch Schwarzwild aber ziemlich groß ist, war es für mich die sinnvollste Entscheidung, den Jagdschein zu machen. Diese Entscheidung bereue ich nicht, denn sie hat mir auch die Jagd wieder näher gebracht.

Was sind bei Ihnen in der Region die größten Probleme mit dem Wild? 

Bei uns ist vor allem das Schwarzwild sehr stark, was gerade für die Landwirtschaft ein großes Problem darstellt. Wir haben auch Rotwild, was deutlich seltener Schaden anrichtet als das Schwarzwild.  

Wie kann das Wild effektiv von den Anbauflächen ferngehalten werden – geht das überhaupt? 

Hier kann man auf einen ganzen Strauß an Maßnahmen zurückgreifen. Als erstes stimmen wir den Anbau der verschiedenen Feldfrüchte mit den Jägern ab. Dann wissen diese, wie hoch die Gefährdung der Fläche ist, und zu welchen Zeiten die Bedrohung durch das Schwarzwild am größten ist. Als nächstes hilft es, einen Randstreifen für einen Elektrozaun frei zu halten. Dies beißt sich leider mit den Richtlinien der EU, dazu aber später mehr. Am Elektrozaun können auch Wildvergrämungsmittel verteilt werden, um den Übertritt zu verhindern. 

In Kulturen, die zu hoch für eine effektive Bejagung sind, zum Beispiel Mais oder Raps, können Jagdschneisen angelegt werden. Leider ist dies nicht immer so einfach und nützlich, wie man denkt. Mit Schneisen meine ich nicht die 20 Meter breiten Streifen, von denen man früher mal gesprochen hat, sondern schmale Gassen. Solche sind bei uns sowieso nötig, da wird Beregnungsbetrieb sind. Wenn man noch quer zur eigentlichen Ackerrichtung ein oder zwei Gänge anlegt, ist eine Pirsch auch in hohen Beständen gut möglich. 

Eine weitere Möglichkeit ist die „Erziehung“ des Wildes: Wenn ich das Wild im Sommer nur auf dem Feld bejage und es im Wald in Ruhe lasse, kann man es so erziehen, dass es den Flächen lieber fernbleibt.

Beim Thema Wildschäden schieben sich Politik, Landwirte und Jagdpächter ja häufig gegenseitig die Verantwortung zu. Wer sollte aus Ihrer Sicht für die Schäden aufkommen? 

Das ist ein sehr komplexes Problem, das nicht so einfach zu lösen ist. Ich fange mal vorne an: Der Jäger ist der einzige, der wirklich direkt etwas gegen Wildschäden tun kann, nämlich durch die Reduzierung und Vergrämung des Wildes. Damit ist er eigentlich auch derjenige, der für die Schäden aufkommen sollte. 

Dagegen sprechen natürlich Fälle, in denen der Landwirt dem Jäger jede Möglichkeit der Schadenverhütung nimmt. Hier dienen als ganz pragmatisches und oft genanntes Beispiel die großen Schläge von 100 Hektar und mehr mit Mais im Osten Deutschlands. Da hat der Jäger gar keine Chance, seiner „Pflicht“ nachzukommen, wenn der Landwirt keine Jagdschneisen anlegt. In so einem Fall einfach zu sagen „Der Jäger hat ja nix geschossen, also zahlt er!“, ist also falsch.

Im Schweizer Kanton Solothurn hat man auf die steigenden Wildschweinbestände und die damit zunehmenden Wildschäden reagiert und eine Gesetzesänderung beschlossen, die Jäger finanziell entlastet (wir berichteten). Wäre das auch eine Lösung für die Schwarzwildschäden hierzulande? 

Ich sehe eine solche Regelung sehr kritisch. Nicht nur hier bei uns, auch an anderen Stellen sieht man, dass die Jagdpächter nicht selten weit entfernt von den gepachteten Revieren leben und nur hin und wieder zur Jagd kommen. So werden gute Wetterbedingungen verpasst und auch die Beobachtung des Wildes und dessen Verhalten, also wann und wo welche Rotte auftritt, kommt zu kurz. 

Da sind ein ausbleibender Jagderfolg und damit natürlich einhergehend eine erhöhte Wildschadenentwicklung vorhersehbar. Auf diese Entwicklung hat der Landwirt keinen Einfluss. Daher ist in solchen Fällen eine Beteiligung an den Schäden nicht verhältnismäßig.

„Es gibt verschiedene Lösungsansätze“

Sie sprachen davon, dass ein gutes Miteinander von Jägern und Landwirten wahrscheinlich die beste Regelung für den Umgang mit Wildschäden sei. Wie kann so eine Zusammenarbeit in der Praxis aussehen? Haben Sie Beispiele aus Ihrer Region? 

Auch hier gibt es verschiedene Lösungsansätze. Einige habe ich ja bereits erwähnt – zum Beispiel die Abstimmung des Anbaus und das Anlegen von Schneisen und Randstreifen.

Eine weitere Möglichkeit ist die Vergabe von Begehungsscheinen an die Landwirte oder ortsansässige Jäger für die gefährdeten Flächen. Wir selbst haben das mit Jagdpächtern vor Ort so prima regeln können. Wir können in den gefährdeten Flächen mit Bejagung und gegenseitiger Hilfe so auch den Wildschaden minimieren. Denn auch der Landwirt möchte viel lieber eine intakte Kultur als einen finanziellen Ausgleich für einen Schaden.  

Warum klappt die Zusammenarbeit oft nicht? 

Die Ursachen sind noch vielfältiger als die Lösungsansätze. Das beginnt bei persönlichen Differenzen, zum Teil auch ausgelöst durch bereits aufgetretene Schäden. Bei einer Regulierung fühlen sich meist beide Seiten ungerecht behandelt. Das wird leider auch oft nicht offen kommuniziert, sondern im Groll und am Stammtisch breitgetreten. 

Wenn der Landwirt Platz lässt für Abwehrmaßnahmen, möchte auch er nicht den entgangenen Nutzen alleine tragen. Hier sind aber wiederum oft die Jäger diejenigen, die sich nicht daran beteiligen wollen. 

Ein weiteres Problem, das ich schon angedeutet habe, sind die Richtlinien der EU. Wird eine Fläche vom Landwirt nicht vollständig bewirtschaftet, kann das schnell zu Sanktionen führen. Die Vorschriften sind an vielen Stellen viel zu bürokratisch und theoretisch und überhaupt sehr praxisfern. Diese Regelungen haben vielen Landwirten, und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein, die Lust und die Freude genommen, etwas für die Natur und damit auch für die Jagd zu tun. Das einfache „Liegenlassen“ eines Randstreifens zieht einen solchen bürokratischen Aufwand nach sich, dass man keinen Spaß mehr daran hat. Das kann sogar noch schlimmer werden, sollte man auch nur einen kleinen Fehler bei diesem Bürokratiemonster machen. Das kann richtig teuer werden.