Potential von Baumpflanzungen dramatisch überbewertet

Meldungen aus der Forschung der Leuphana Universität Lüneburg vom 22. Oktober 2019, Lüneburg/Washington

Potential von Baumpflanzungen dramatisch überbewertet

Klimawandel: Wis­sen­schaft­ler kri­ti­sie­ren Vorschläge der ETH Zürich – Po­ten­ti­al fünf­fach überschätzt.

Forstpflanzung mit Einzelschutz
Forstpflanzung mit Einzelschutz
Prof. Dr. Vicky Temperton
Prof. Dr. Vicky Temperton

​Koh­len­di­oxid, das durch die Ver­bren­nung fos­si­ler Brenn­stof­fe in die At­mo­sphäre ge­langt, führt zu ei­ner Erwärmung der Erde, ei­ner Ver­saue­rung der Ozea­ne und ei­ner Verände­rung des Kli­mas. Da Bäume Koh­len­stoff durch Pho­to­syn­the­se bin­den, se­hen ei­ni­ge Wis­sen­schaft­ler und Um­welt-Grup­pen im mil­lio­nen­fa­chen Pflan­zen von Bäumen eine Lösung für den Kli­ma­wan­del. Eine Grup­pe von 46 Wis­sen­schaft­lern aus al­ler Welt, un­ter ih­nen Prof. Dr. Vicky Tem­per­ton von der Leu­pha­na Uni­ver­sität Lüne­burg, mahnt zur Vor­sicht.

In ei­nem jetzt in der ame­ri­ka­ni­schen Fach­zeit­schrift Sci­ence veröffent­lich­ten Bei­trag zei­gen Jo­seph Veld­man von der Te­xas A & M Uni­ver­si­ty und sei­ne Co-Au­to­ren, dass die jüngs­ten For­schungs­er­geb­nis­se das Po­ten­zi­al von Baum­pflan­zun­gen zur Eindämmung des Kli­ma­wan­dels dra­ma­tisch über­be­wer­tet ha­ben.

Sie war­nen: Das Pflan­zen von Bäumen an fal­schen Or­ten kann so­gar Öko­sys­teme zerstören, die In­ten­sität von Waldbränden erhöhen und die glo­ba­le Erwärmung verschärfen.

Veld­man sag­te: „Während das Pflan­zen von Bäumen in ab­ge­holz­ten Ge­bie­ten po­si­ti­ve Aus­wir­kun­gen ha­ben kann, zerstört es im natürli­chen Gras­land der Erde den Le­bens­raum von Pflan­zen und Tie­ren und wird außer­dem nicht genügend Koh­len­stoff bin­den, um die Emis­sio­nen fos­si­ler Brenn­stof­fe zu kom­pen­sie­ren.“

Mit ih­rem Bei­trag kri­ti­sie­ren die Au­to­ren ei­nen an­de­ren, kürz­lich in Science er­schie­ne­nen Ar­ti­kel von Wis­sen­schaft­lern der Eid­genössi­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le (ETH) in Zürich. Die­se For­scher wa­ren von ei­ner nie­derländi­schen ge­meinnützi­gen Stif­tung (DOB Eco­lo­gy), ei­ner In­ter­es­sen­grup­pe für das Pflan­zen von Bäumen (Plant-for-the-Pla­net) und dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (BMZ) fi­nan­ziert wor­den. Sie be­haup­te­ten, dass mit welt­wei­ten Baumpflan­zun­gen 205 Gi­ga­ton­nen Koh­len­stoff oder ein Drit­tel des Kohlendi­oxids, das seit der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on aus­ges­toßen wur­de, kom­pen­siert wer­den könn­ten.

Veld­man macht klar: „Da die geschätzte Kom­pen­sa­ti­on von 205 Gigatonnen Koh­len­stoff so hoch war, wur­de das Pflan­zen von Bäumen welt­weit als die bes­te Lösung für die Eindämmung des Kli­ma­wan­dels be­zeich­net. Wir wis­sen jetzt, dass die­se An­nah­me falsch war.“

In ih­rer Kri­tik schrei­ben Veld­man und sei­ne Co-Au­to­ren, dass die Schwei­zer For­schung schwer­wie­gen­de Mängel auf­wies, die zu ei­ner fünf­fa­chen Überschätzung des Po­ten­zi­als neu ge­pflanz­ter Bäume für die Eindämmung des Kli­ma­wan­dels führ­ten. Die ursprüng­li­che Stu­die ging un­ter an­de­rem da­von aus, dass Böden in Öko­sys­te­men ohne Bäume kei­nen Koh­len­stoff ent­hal­ten, ob­wohl in vie­len Öko­sys­te­men wie Sa­van­nen und Torf­moo­ren mehr Koh­len­stoff im Bo­den ge­bun­den ist als in der ober­ir­di­schen Ve­ge­ta­ti­on.

Die Schwei­zer For­scher ver­nachlässig­ten auch die Tat­sa­che, dass Na­delwälder in gemäßigt kal­ten Kli­ma­zo­nen und Hoch­ge­birgs­re­gio­nen mehr Son­nen­licht ab­sor­bie­ren und mehr Wärme ab­ge­ben als baum­lo­se Ge­bie­te und so die glo­ba­le Erwärmung eher verschärfen als mil­dern. Außer­dem war­nen die Au­to­ren, dass das Pflan­zen von Bäumen auf Wie­sen und in Sa­van­nen, wie vom Schwei­zer For­scher­team vor­ge­schla­gen, die Um­welt schädigt.

Veld­man sagt: „Ur­al­te Wie­sen und Sa­van­nen ent­hal­ten eine im­men­se Ar­ten­viel­falt und er­brin­gen Dienst­leis­tun­gen für die Mensch­heit, wie z. B. Vieh­fut­ter und Grund­was­ser­neu­bil­dung. Wir befürch­ten, dass ein kurz­sich­ti­ger Fo­kus auf das Pflan­zen von Bäumen die An­pas­sungsfähig­keit der Men­schen an den Kli­ma­wan­del ver­rin­gert und gleich­zei­tig von den Bemühun­gen zur Er­hal­tung in­tak­ter Öko­sys­te­me und zur Re­du­zie­rung des Ver­brauchs fos­si­ler Brenn­stof­fe ab­lenkt.“

Co-Au­to­rin Vicky Temperton von der Leu­pha­na fügt hin­zu: „Eine öko­lo­gi­sche Sa­nie­rung könnte viel mehr zu natürli­chen Kli­malösun­gen bei­tra­gen, wenn wir uns nicht nur auf Wälder fo­kus­sie­ren, son­dern uns auch um Gras­land, Sa­van­nen, Busch­land und Torf­moo­re kümmern.“