Offener Brief an Herrn Peter Wohlleben und die Redaktion „stern“. Ein Förster antwortet auf den Beitrag „Wie geht’s unserem Wald“ – „stern“–Ausgabe Nr. 35 vom 22. August 2019
Förster lädt Wohlleben zum „Faktencheck“ ein
Förster Gerhard Neth: „Peter Wohllebens pauschales ‚Förster-Bashing‘ empfinde ich als reichlich unverschämt!“
Sehr geehrter Herr Wohlleben,
lieber Kollege Peter Wohlleben,
ich bin seit nunmehr fast 30 Jahren Förster im Stadtwald Rottenburg am Neckar. Die Wälder in unserer Region sind Ihnen aus Ihrer Studienzeit an der Rottenburger Hochschule für Forstwirtschaft hoffentlich in guter Erinnerung geblieben. Wir haben nach dem Studium an der damals noch „verwaltungsinternen Fachhochschule“ beruflich denselben Weg eingeschlagen. Die Wälder sind – wie Sie es in Ihrer Vita so schön formuliert haben – „unser berufliches zuhause, die Arbeit mit Bäumen unser Leben“ geworden.
Wir haben also viele Gemeinsamkeiten.
Der Einsatz für eine nachhaltige, ökologisch orientierte Waldwirtschaft bereitet mir bis heute jeden Tag Freude – auch wenn sich die Rahmenbedingungen seit 1990 deutlich verändert haben. Damit bin ich nicht alleine, ich denke, ich spreche da im Namen ganz vieler Kolleginnen und Kollegen!
Unabhängig von fachlicher Kritik, habe ich mich über den Erfolg Ihrer Bücher anfangs sehr gefreut. Es ist Ihnen gelungen dem Thema „Wald“ endlich einen hohen, und der Sache angemessen Stellenwert in der Gesellschaft zu verschaffen. Das ist bemerkenswert und dafür zolle ich Ihnen großen Respekt und Dank!
Unsere Waldführungen sind seither noch besser besucht und es ergeben sich immer wieder spannende und interessante Diskussionen mit Waldbesuchern. Dem fachlichen und gelegentlich auch sehr kritischen Dialog mit am Wald interessierten Menschen stelle ich mich sehr gerne. Berechtigte Kritik an der täglichen Arbeit im Wald nehme ich, wie die Mehrzahl der Försterinnen und Förster in unserem Land, gerne auf. Das bringt uns weiter, Schuldzuweisungen eher nicht.
Ich konnte mir im Laufe der Jahre einen guten Überblick über die Ausbildung im Forstbereich aneignen, schließlich ist mein kommunales Forstrevier gleichzeitig Lehr- und Ausbildungsrevier der Hochschule Rottenburg. Seit rd. 30 Jahren sehe ich wie unsere Absolventinnen und Absolventen mit hohem Fachwissen und großem Engagement ins Berufsleben überwechseln und im Berufsfeld „rund um die Waldbewirtschaftung“ hervorragende Arbeit leisten.
Das pauschale „Förster-Bashing“, das Sie nun auch in der aktuellen Ausgabe des „stern“ (35/2019) wieder verbreiten, empfinde ich deshalb als reichlich unverschämt!
Ihr Exklusivbericht „Wie geht’s unserem Wald“ hat mich sehr geärgert und mich nun dazu veranlasst, Ihnen diesen offenen Brief zu schreiben.
Wenn Chefredakteur Florian Gless im Editorial schreibt, dass „nun zu sehen ist, was das Treiben der Förster in den vergangenen Jahrzehnten angerichtet hat“ ist das für eine ganz, und – im Unterschied zu Ihren Behauptungen – überwiegend sehr engagierte Berufsgruppe, in hohem Maße herabwürdigend und ehrverletzend. Das hat mit seriösem Journalismus nichts mehr zu tun. Leider beteiligen Sie sich daran, haben ihm vermutlich die „Vorlage geliefert“ und hauen im Beitrag selbst kräftig, vor allem mit längst überholten Beispielen und Halbwahrheiten auf Ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ein.
Ihre Aussage „nur wenige Förster können wirklich nachhaltig arbeiten“ empfinde ich auch persönlich als ziemliche Frechheit. Eine schlüssige Begründung für diese anmaßende Behauptung liefern Sie nicht.
Es geht hier wohl nicht mehr um die Sache, sondern um Verkaufszahlen und Quoten. Obwohl ich kein Medienprofi bin ist mir auch klar, dass man mit Harmonie und Sachlichkeit heute wohl keine Bücher/Zeitschriften verkauft oder in Talkshows eingeladen wird. Man wird in den Medien offensichtlich erfolgreicher wahrgenommen, wenn man als der einzig „Gute“ mit Fingern auf alle anderen zeigt und mit Dreck nach Ihnen wirft. Erst recht, wenn „die Anderen“ auch noch überwiegend „beamtete Staatsförster“ sind und man sich selbst als den einzig „Geläuterten“, als eine Art „Konvertit“ darstellt, der den Weg aus einem schlechten System in (s)eine bessere Welt gefunden hat. Das machen Sie schriftstellerisch und rhetorisch sehr geschickt.
Leider hilft das in der Sache nicht weiter:
Wir sind uns einig, die aktuelle Situation des Waldes in Deutschland ist besorgniserregend. Wenn wir für den Wald der Zukunft einen Masterplan erreichen wollen, der diesen Namen auch verdient, müssen wir ein klares, belastbares Konzept erarbeiten. Walbaukonzepte sind auf Langfristigkeit ausgelegt, wir müssen einem Masterplan dann aber auch ausreichend Zeit für die Umsetzung geben. Da müssen wir „dran bleiben“ und nicht – wie Sie das gelegentlich mal tun, mal das eine und dann das andere zu fordern um sich so möglichst „alle Türen offen zu halten“. Das ist eine anspruchsvolle Herausforderung und eine Herkulesaufgabe!
Auf die Kenntnisse und Erfahrungen engagierter Försterinnen und Förster sollte dabei nicht verzichtet werden. Uns nur als „profitorientierte, rücksichtslose Forstwirte“ darzustellen und damit jede Kompetenz abzusprechen, ist realitätsfremd und unverschämt! Glücklicherweise werden wir Försterinnen und Förster in der Öffentlichkeit auch nicht so wahrgenommen. Abgesehen davon: Betriebswirtschaftliches Handeln und Profitorientierung sind auch in der Forstwirtschaft per se nichts Schlechtes. Wie bei der Leitung einer „Waldakademie“ sprechen diese Zielsetzungen nicht gegen Fachkompetenz in waldbaulichen Fragen.
Sie dürfen es so oft wiederholen wie Sie wollen, es wird davon nicht richtiger: Die von Ihnen als „Rebellen“ bezeichneten Kollegen aus den Stadtforstämtern Lübeck und Göttingen werden von uns keinesfalls verachtet. Wir lernen gerne voneinander, mit den Kollegen Fähser und Sturm lässt sich hervorragend über den richtigen Weg für eine ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft diskutieren – was wir erst kürzlich hier im Landkreis Tübingen mit Lutz Fähser auch getan haben.
Wer in seinem Revier zielorientiert und naturnah arbeitet, hat bereits viele Schnittmengen mit dem durchaus auch nicht unumstrittenen „Lübecker Modell“. Tatsächlich haben wir in unserem Forstbetrieb sogar einige Zieldurchmesser höher angesetzt als Lübeck.
Es sollte aber auch zur Kenntnis genommen werden, dass es nicht nur einen Weg zu mehr „Natur im Wald“ gibt. Selbst „Naturschützer“ sind sich untereinander gelegentlich uneins, welche Form des Natur- und Artenschutzes die bessere Variante darstellt.
Außerdem ist auch nicht jede Kommune in Deutschland in der Lage – und bereit – die Waldwirtschaft jedes Jahr mit großen Summen aus dem kommunalen Haushalt zu finanzieren und auf nicht unwesentliche Holzerträge zu verzichten. Mit Büchern, Vorträgen, privaten Akademien, Fernsehformaten und reißerischen Headlines über den Wald darf man Ihrer Ansicht nach gutes Geld verdienen. Mit dem wertvollen Rohstoff Holz betriebswirtschaftlich sinnvoll umzugehen ist aber offensichtlich moralisch verwerflich. Da passt manches nicht so ganz zusammen.
Schwarzspecht, Mittelspecht und Schwarzstorch fühlen sich auch in unseren Wäldern sehr wohl. So naturfern und eintönig wie Sie das gerne darstellen sind unsere Wälder nicht. Im Gegenteil! Zumindest in Süddeutschland ist der Umbau der Wälder in vollem Gange. Wer in den Landes- und Kommunalwäldern unserer Region noch von Plantagenwirtschaft, Holzäckern oder großflächigen Monokulturen redet, verkennt die Situation. Sie sollten sich nicht nur auf negative Beispiele in unseren Wäldern konzentrieren und auch einmal anerkennen, dass sich seit unseren Rottenburger Studientagen vieles verändert und verbessert hat. Der Laubholzanteil in Baden-Württembergs Wäldern ist in den vergangen Jahren konstant auf nunmehr fast 50 % angestiegen. Keine schlechte Bilanz wenn man bedenkt, dass der ausgedehnte Schwarzwald nicht zu den bevorzugten Laubwaldgebieten zählt.
In unserem Landkreis Tübingen hat sich das Baumartenverhältnis in vielen kommunalen Forstbetrieben sogar komplett gedreht. In einigen Betrieben beträgt der Laubholzanteil heute nahezu 70 %. Vor allem die kommunalen Waldbesitzer gehen hier mit gutem Beispiel voran und tragen dieses sehr naturnahe Konzept aus Überzeugung mit. Dazu gehören auch eine große Zahl von Habitatbäumen und Habitatbaumgruppen, sowie ein System aus stillgelegten, der Natur überlassenen Flächen – in unserer Region „Refugien“ genannt. Biodiversität spielt in unserem Handeln eine große Rolle. Den im Offenen Brief von „Waldexperten“ an Umweltministerin Schulze geforderten Anteil von 5 % sich selbst überlassener Naturwälder haben wir hier längst erreicht.
Wir sind auf großen Waldflächen in Deutschland bereits auf gutem Weg zu einem naturnahen Waldökosystem, das wir gemeinsam fordern. Um Missverständnisse zu vermeiden und Ihre mit unserer Kraft besser bündeln zu können, sollten wir nicht übereinander sprechen, sondern miteinander – nicht nur den Diskurs mit Fernsehmoderatoren und Laien pflegen, sondern auch den mit Fachleuten und den mit fachlich ebenfalls versierten Kritikern. Dabei sollte es nicht in erster Linie, aber vermutlich auch um Begrifflichkeiten gehen, weil damit Politik gemacht und Entscheidungen beeinflusst werden:
Wo genau endet für Sie konventionelle Forstwirtschaft und ab wann ist von einem „Holzacker“ oder einer „Plantage“ zu sprechen. Da erlebe ich in öffentlichen Diskussionen teils abenteuerliche Abgrenzungen. Und wir sollten uns auch über die Holzverwendung unterhalten:
Wie und in welchem Umfang nutzen wir den tollen und wertvollen Rohstoffe Holz? Wie und woher stillen wir den großen Holzhunger nach Bau-, Möbel- und Industrieholz in unserem Land? Wie transportieren wir eingeschlagenes Holz aus den Wäldern. Da bleiben Sie nach meiner Einschätzung einige Antworten schuldig.
Es gibt auf unserem gemeinsamen Weg also noch viele Fragen zu klären.
Ich lade Sie deshalb sehr herzlich in Ihr „altes Lehr- und Ausbildungsrevier“ nach Rottenburg am Neckar ein. Wie unter Förstern üblich, diskutieren wir die Dinge am besten an verschiedenen Waldorten direkt im Revier. Die Auswahl der Flächen überlasse ich gerne Ihnen. Wir haben absolut nichts zu verbergen.
Nutzen Sie die Chance sich in Rottenburg auch mit unseren künftigen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Geben Sie Ihnen die Möglichkeit Ihre Sicht der Dinge vor Ort zu erfahren und von Ihrer Erfahrung zu lernen. Schließlich wird diese Generation von den Folgen der Klimaveränderung stark betroffen sein. Sie brauchen ein gutes Rüstzeug um diese (über-)lebenswichtigen Aufgaben zu meistern. Tragen wir gemeinsam dazu bei! Ein „volles Haus“ in der neuen Aula Ihrer „alten Hochschule“ kann ich Ihnen heute schon garantieren.
In der Hoffnung auf eine positive Rückmeldung verbleibe ich mit kollegialen Grüßen!
gez. Gerhard Neth
Forstrevier Rottenburg-Süd