Das Schalenwild nützt der Natur

Das Schalenwild nützt der Natur

Im bayerischen Grafenwöhr sind Hirsche nicht Schädling, sondern Landschaftspfleger

Rudel Rotwild (Foto: Dieter Hopf)
Rudel Rotwild (Foto: Dieter Hopf)

Ein Forstamt geht etwas andere Wege und zeigt dabei, wie Wald und Wild und Naturschutz zusammen gelingen. Ausgerechnet in Bayern. Und hoch dekoriert, zum Beispiel von den Vereinten Nationen als Musterbeispiel für biologische Vielfalt. 

In den 1980er Jahren noch war der Truppenübungsplatz von Grafenwöhr eher ein Beispiel für horrenden Wildverbiss. Der Bundesrechnungshof rügte enorme Schäden für Natur und Steuerzahler. Und dann kam die Wende. Von Beginn an mit dem festen Vorsatz, Wald und Wild unter einen Hut zu bringen. 

Mittlerweile ist der Erfolg sogar wissenschaftlich nachgewiesen, haarklein bis zu den Wiesenblühern und den Schmetterlingen. Schon die Zwischenergebnisse erregten internationales Aufsehen in der Fachwelt. Im kommenden Herbst erscheint der Schlussbericht des Forscherteams um die Göttinger Biologin Dr. Friederike Riesch und der Abteilung für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TU Dresden. 

Die Wetten, dass danach einige Kapitel der Forstwissenschaft umgeschrieben werden, laufen schon. Kurz gesagt ist der Beweis gelungen, dass Schalenwild dem Wald nicht schadet, wenn der Mensch den Tieren Äsungsflächen lässt. Dann werden Reh und Hirsch sogar zum Landschaftspfleger, bereichern die Artenvielfalt. Nützen also – um beim Schlagwort zu bleiben – der Biodiversität.

Auch eine späte Bestätigung der Jäger-Klage, dass zumal das Rotwild dem Siedlungsdruck und der industrialisierten Landwirtschaft geopfert wurde. Zuerst verbannt in Reservate, mittlerweile vielerorts so gnadenlos bejagt als ginge es um Schädlingsbekämpfung.  

Und nun haben sie in Grafenwöhr nachgewiesen, dass ausgerechnet das Rotwild unsere liebgewonnene Kulturlandschaft rettet, wenn sich Weidetierhaltung nicht mehr rechnet. Oder – aktuell – am Wolf zu scheitern droht. Sogar gegen das Bienensterben womöglich wirksamer als ein Volksbegehren. Auf den Hirschweiden im Truppenübungsplatz brummt´s und summt´s, dass es eine Freude ist. Selten gewordene Pflanzen kommen hoch, den Nagern und Amphibien geht es prächtig. 

Schlussatz aus dem Zwischenbericht der Forscher:  „Das Projekt verdeutlicht, dass Beweidung durch Wildtiere eine Möglichkeit bietet, naturnahe Offenlandlebensräume auch in sehr großen oder unzugänglichen Gebieten zu erhalten, wo herkömmliche Landschaftspflegemaßnahmen nicht umgesetzt werden können.“ 

Zum Gelingen gehörte und gehört wohl auch, dass die Wissenschaftler in Grafenwöhr auf  Förster trafen, die schon zuvor darauf eingeschworen waren, Waldprobleme nicht allein mit der Büchse zu lösen. Forstdirektor Ulrich Maushake hielt schon ganz neu im Amt auf einer Tagung des bayerischen Landesjagdverband ein glühendes Plädoyer für waidgerechten Umgang mit dem Schalenwild, Muttertierschutz inklusive. Und er hatte sich in den Kopf gesetzt, in Grafenwöhr zugleich den Wald und das Wild zu retten. 

Den Wald zu schützen, sagt der Forstmann, sei er seinem Dienstherrn, „also den Steuerzahlern“ schuldig. Und die Wald-Funktionen zu erhalten für Natur und Klima, also auch für uns Menschen. Aber auch als Lebensraum für Fauna und Flora – und fürs Schalenwild. Die Rechnung geht auf. Nicht nur fürs Rotwild. Bald, sagt der hirschgerechte Förster, seien ihnen „die Augen aufgegangen, dass unser Konzept noch viel mehr bewirkt für die Natur“. 

Diese „Mehr“ wurde nun fünf Jahre lang ganz genau untersucht. Auf 230 Quadratkilometern, zu 80 Prozent europäisches FHH-Schutzgebiet, zu einem Drittel Offenland. Fazit: Auch dem Wald geht’s gut. Und Förster Maushake hat was in der Hand, wenn Kollegen lästern, dass bei ihm auf dem Truppenübungsplatz die Hirsche ruhig die Bäume fressen dürfen. 

Dürfen sie nicht und müssen sie auch nicht. Das Offenland ist ihnen lieber, sagt Maushake. Aber er setzt natürlich auch auf traditionelle Wildmeister-Weisheit, setzt seine Jagdgäste nicht am Rand der großen Lichtungen an, nur weil dort die Chancen größer sind. Dazu wenig Jagddruck, höchstens zwei Gesellschaftsjagden jährlich, meist nur eine. 

Am Rande: Seit drei Jahren steift ein Wolfspaar durch das Bundesforstrevier. Besondere Auswirkungen auf seine Art zu jagen hat Maushake bisher nicht festgestellt. Das könnte anders werden, wenn die Wölfe erst mal ein Rudel bilden. Und auch das wird in Grafenwöhr ganz genau untersucht.  „WeideWildWolf“ heißt das nächste Forschungsprojekt. Wieder in Grafenwöhr und wieder mit den Biologen aus Göttingen und Dresden.

  

Weitere Informationen zu der Studie gibt es hier.