Bekommt M-V die längsten Jagdzeiten Europas?

Bekommt M-V die längsten Jagdzeiten Europas?

Stellungnahme der Deutschen Wildtier Stiftung zum Entwurf neuer Jagdzeiten in M-V

Die Deutsche Wildtier Stiftung lehnt den Vorschlag, die Jagdzeit auf das wiederkäuende Schalenwild bereits am 16. April beginnen zu lassen, strikt ab (Foto: Kelly Rudland)
Die Deutsche Wildtier Stiftung lehnt den Vorschlag, die Jagdzeit auf das wiederkäuende Schalenwild bereits am 16. April beginnen zu lassen, strikt ab (Foto: Kelly Rudland)

Ende November 2019 hat sich das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit Vertretern von Umwelt, Forst- und Jagdverbänden getroffen, um gemeinsame Strategien für waldangepasste Wildbestände zu entwickeln. Das am Ende der dreistündigen Veranstaltung erarbeitete Positionspapier wurde von der Deutschen Wildtier Stiftung nicht mit unterzeichnet. In dem nun vorgelegten Verordnungsentwurf des MLU zur Änderung der Jagdzeiten in M-V soll die Jagdzeit für wiederkäuendes Schalenwild weiter verlängert werden – Mecklenburg-Vorpommern würde damit die längsten Jagdzeiten Europas erhalten.

  

Stellungnahme

zum

Entwurf für die Veränderung der Verordnung über die Bestimmung weiterer jagdbarer Tierarten und zur Änderung der Jagdzeitenverordnung in Mecklenburg-Vorpommern vom 08.01.2020

   

Hintergrund

Das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Mecklenburg-Vorpommern schlägt in dem o.g. Entwurf vor, den Nandu als jagdbare Tierart aufzunehmen, die Jagdzeiten für wiederkäuendes Schalenwild zu verlängern und für die Saatgans zu streichen sowie die Nachtjagd auf Schwarzwild durch Zulassen technischer Hilfsmittel zu erleichtern.

Begründet wird dieser Vorschlag mit steigenden Schalenwildbeständen und ihren Auswirkungen auf die Waldverjüngung sowie zur Erleichterung der Nachtjagd auf Schwarzwild mit Blick auf die Gefahr des Auftretens der Afrikanischen Schweinepest (ASP). Das Vorkommen des Nandus in Mecklenburg-Vorpommern geht auf Exemplare zurück, die aus einem Tierpark ausgebrochen sind. Der Bestand entwickelt sich dynamisch und die Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen nehmen zu. Der Nandu wird als potentiell invasive Tierart eingestuft, woraus sich Handlungsbedarf ergibt. Die Aufhebung der Jagdzeit für die Saatgans wird mit der Verwechslungsgefahr zwischen Tundra- und Waldsaatgans begründet. Letztere überwintert zu einem sehr großen Anteil in Mecklenburg-Vorpommern und weist eine negative Bestandsentwicklung auf.

 

Bewertung der Deutschen Wildtier Stiftung:

a) Nandu

Die Aufnahme des Nandus als jagdbare Art wird unterstützt. Damit werden Jäger handlungsfähig, um Bestände zu begrenzen. Sobald der Nandu als invasive Art gelistet ist, ergibt sich ohnehin die Verpflichtung, den Bestand zurückzudrängen bzw. auszulöschen.

b) Saatgans

Die Aufhebung der Jagdzeit für die Saatgans wird aus den vom Ministerium genannten Erwägungen des Schutzes der Waldsaatgans unterstützt.

c) Verlängerung der Jagdzeiten auf Reh-, Dam-, Rot- und Muffelwild

Die Deutsche Wildtier Stiftung lehnt den Vorschlag, die Jagdzeit auf das wiederkäuende Schalenwild bereits am 16. April beginnen zu lassen, strikt ab und fordert ein Jagdzeitende zum 31. Dezember.

Die ohnehin sehr langen Jagdzeiten auf das wiederkäuende Schalenwild würden mit diesem Vorstoß weiter verlängert. Im Ergebnis hätte bspw. der Rehbock dann nur noch 2,5 Monate im Jahr Schonzeit.

Mecklenburg-Vorpommern wäre dann das Bundesland mit den längsten Jagdzeiten in Deutschland. Die vorgezogene Jagdzeit auf Rehböcke und Jährlinge des Rot-, Dam-, Muffel- und Rehwildes ab Mitte April beeinflusst alle wiederkäuenden Schalenwildarten in der Zeit ihrer geringsten Energiereserven, nämlich am Winterausgang, wenn gleichzeitig der energieaufwändige Haarwechsel stattfindet. Mit Beginn des phänologischen Frühlings stillt das Wild seinen zu dieser Zeit hohen Energiebedarf vor allem auf besonnten Bereichen u.a. an Waldrändern, wo sie bereits energiereiche Nahrung finden.

Jagddruck wird die Tiere wieder in die Einstände drängen, wo sie dann statt im Offenland ihre Energiereserven auffüllen müssen. Ein früher Jagdbeginn provoziert daher eher Wildschäden im Wald, als sie zu verhindern. Gleiches gilt für die Jagd im Winter, wenn insbesondere Rotwild seinen Stoffwechsel reduziert, um Energie zu sparen. Werden die Tiere jetzt gestört, erhöht sich der Nahrungsbedarf und die Gefahr von Wildschäden steigt.

Sinnvoller wäre es, die Jagdzeiten insgesamt zu verkürzen und über alle Wildarten zu synchronisieren. Daher schlagen wir vor, die Jagd auf Rehböcke und Jährlinge des Rot-, Dam-, Muffel- und Rehwildes im Mai freizugeben und anschließend, wie z.B. in Niedersachsen, eine zweimonatige Schonzeit einzuführen. Denn es ist unumstritten, dass während der Monate Juni und Juli keine effektive Jagdausübung auf wiederkäuende Schalenwildarten möglich oder gar sinnvoll ist. Ab 1. August (weibliches Rehwild ab 1. September) sollten dann alle Altersklassen und Geschlechter der wiederkäuenden Schalenwildarten bis Ende Dezember bejagt werden dürfen.

Es gibt ausreichend Studien und Praxisbeispiele, die zeigen, dass der erforderliche Abschuss von Schalenwild auch in sehr kurzen Jagdzeiten erfüllt werden kann. Gleichzeitig ist es wissenschaftlicher und auch jagdpraktischer Konsens, dass eine Verlängerung von Jagdzeiten keineswegs automatisch zu einer Erhöhung der Jagdstrecke führt. Im Gegenteil führen permanenter Jagddruck und die damit verbundenen Störungen dazu, dass Wild immer scheuer und schwieriger zu bejagen wird. Um Schalenwild wirksam zu reduzieren, ist insbesondere beim Dam- und Rotwild die Augustjagd auf Kalb-Alttier Doubletten zu intensivieren. Diese Jagdstrategie ist allen Forstämtern in Mecklenburg-Vorpommern als Vorgabe zu machen.

d) Erleichterung der Nachtjagd auf Schwarzwild

Die Deutsche Wildtier Stiftung lehnt die vorgeschlagenen technischen Erleichterungen der Nachtjagd vollständig ab.

Neben der jagdrechtlichen Frage, ob die vorgesehenen Maßnahmen überhaupt vom Land auf dem Weg einer Verordnungsänderung durchgesetzt werden dürfen, sind für die Deutsche Wildtier Stiftung vor allem jagdpraktische und wildbiologische Konsequenzen von zentraler Bedeutung. Mit der Ausweitung der Nachtjagd wird allen größeren Wildtieren ein letzter Rückzugsraum – die Nacht – vollständig genommen. Die in unserer Kulturlandschaft allgegenwärtigen Störungen, nicht zuletzt durch die Jagdausübung, haben die Tag- und Dämmerungsaktivität des Wildes deutlich reduziert. Ihnen jetzt durch technische Aufrüstung auch noch durchgehend nachts nachstellen zu können, wird das Wild noch heimlicher machen, da die mit der Nachtjagd verbundenen Störungen zunehmen werden. Davon sind die nicht bejagten Arten wie Rot- oder Damwild ebenso betroffen, die sich in der Folge noch weiter in die Einstände zurückziehen. Durch das zu erwartende Ausweichverhalten der Wildtiere werden a) höhere Waldwildschäden provoziert und b) mittelfristig auch keine größeren Schwarzwildstrecken erzielt, wie Studien aus der Schweiz belegen konnten (z.B. FORNAT 2009).

Zur Reduktion des Schwarzwildes sind weiterhin revierübergreifende Bewegungsjagden und die Kirrjagd außerhalb der Rotwildeinstände während der Mondphasen das Mittel der Wahl.

Fazit

Mit der vorgeschlagenen Änderung der Jagdzeitenverordnung und der Erleichterung der Nachtjagd auf Schwarzwild schlägt Mecklenburg-Vorpommern eine aus Sicht der Deutschen Wildtier Stiftung falsche Richtung ein. Es ist ein Trugschluss, dass die Verlängerung von Jagdzeiten und die Intensivierung der Nachtjagd geeignete Instrumente sind, um die Wildbestände zu reduzieren. Um den Tierschutz bei der Jagd zu stärken, die Bedürfnisse des Wildes mit den Interessen der Land- und Forstwirtschaft besser zu verzahnen und lokal überhöhte Wildbestände tierschutzgerecht zu reduzieren, wäre es notwendig, die Hegegemeinschaften zu professionalisieren, sie zu Körperschaften öffentlichen Rechts zu machen und mit Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten auszustatten. Dies wäre – gemeinsam mit einer Synchronisation und Verkürzung der Jagdzeiten – ein innovativer Schritt auf dem Weg, eine Balance zwischen den Bedürfnissen des Wildes und den wirtschaftlichen Interessen der Landnutzer zu finden.

Quelle: Stellungnahme zur geplanten Jagdzeitenverordnung der Deutschen Wildtier Stiftung vom 17. Februar 2020, Hamburg