Wanderkarte mal anders

Erstmalige Kartierung aller weltweiten Huftier-Migrationen geplant

Auch in Europa gibt es mit Rothirschen wandernde Huftiere, die heute jedoch vergleichsweise nur geringe Strecken wandern. (Copyright: Heather Smithers on Flickr, lizensiert CC BY-SA 2.0)
Auch in Europa gibt es mit Rothirschen wandernde Huftiere, die heute jedoch vergleichsweise nur geringe Strecken wandern. (Copyright: Heather Smithers on Flickr, lizensiert CC BY-SA 2.0)

Die Wanderungen von Huftieren, wie Gnus oder Karibus, sind nicht nur ein faszinierendes Schauspiel, sondern erfüllen auch wichtige ökologische Funktionen. Doch der Landnutzungswandel und die menschgemachte Infrastruktur erschweren es den Tieren zunehmend, Landschaften wie bisher frei zu durchqueren. Senckenberg-Wissenschaftler arbeiten deshalb mit internationalen Kollegen und den Vereinten Nationen daran, erstmals alle Huftier-Wanderungen zu kartieren. Solch ein globaler Atlas soll helfen, Bedrohungen für die Wanderungen zu erkennen und Schutzmaßnahmen voranzutreiben, berichten die Initiatoren der neuen „Global Initiative on Ungulate Migration“ aktuell im Fachmagazin „Science“.

Nicht nur Menschen wandern, sondern auch Huftiere, und zwar geradezu extrem. Jahr für Jahr durchstreifen mongolische Gazellen und Saiga-Antilopen in Asien, Gnus in Afrika, Guanakos in Südamerika, Karibus und Elche in Nordamerika sowie Rothirsche in Europa teils riesige Gebiete, um Nahrung zu finden und sich fortzupflanzen. „Mongolische Gazellen durchqueren in ihrem Leben über 100.000 Quadratkilometer – das entspricht ungefähr der Fläche Ungarns“, erklärt Dr. Nandintsetseg Dejid, Bewegungsökologin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Wenn Huftiere wandern, breiten sie Samen aus, liefern Fleischfressern Beute und sind zugleich Bestandteil regionaler Wirtschaftskreisläufe. Doch die ökologisch und ökonomisch wichtige Bewegung ist in Gefahr: „Wir beobachten, dass Huftier-Wanderungen durch neue Infrastruktur immer mehr beschränkt werden oder sogar ganz zum Erliegen kommen können. Beispielsweise sind mongolische Gazellen durch Grenzzäune und Eisenbahnlinien stark eingeschränkt, und in Kenia sind die Wanderungen von Gnus und Zebras durch Landnutzungswandel und Infrastruktur bedroht“, so Prof. Thomas Müller vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt.

Müller und Dejid sind unter den 92 internationalen Forschern und Naturschützern, die sich deshalb in der neuen „Global Initiative for Ungulate Migration“ zusammengeschlossen haben. Gemeinsam will das internationale Team die Bewegungen von Huftieren weltweit kartieren und in einem Atlas zusammenfassen. Solch ein Atlas wäre ein Novum, denn bisher gibt es keine detaillierte Dokumentation, die alle saisonalen Huftierbewegungen weltweit abbildet. Unterstützung erhält die Initiative vom Sekretariat des „Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten“ (engl. Convention on Migratory Species) der Vereinten Nationen.

Herden mongolischer Gazellen durchziehen die Graslandschaft. (Copyright: Thomas Müller)
Herden mongolischer Gazellen durchziehen die Graslandschaft. (Copyright: Thomas Müller)
Der Bewegungsradius der mongolischen Gazellen wird zunehmend durch neu gebaute Infrastruktur (im Bild: eingezäunte Eisenbahnlinie) eingeschränkt. (Copyright: Nyamsuren Batsaikhan)
Der Bewegungsradius der mongolischen Gazellen wird zunehmend durch neu gebaute Infrastruktur (im Bild: eingezäunte Eisenbahnlinie) eingeschränkt. (Copyright: Nyamsuren Batsaikhan)

„Mit unseren Bewegungskarten wollen wir Entscheidungsträger darin unterstützen, Infrastrukturprojekte wie Straßen und Schienen so zu planen und umzusetzen, dass sie kein Hindernis für Huftier-Wanderungen darstellen oder ihre Barrierewirkung zumindest geringer ausfällt. Außerdem werden die Karten zeigen, welche Gebiete entlang der saisonalen Routen der Tiere gänzlich frei von Infrastruktur bleiben sollten, um die Wanderungen und die damit verbundenen ökologischen Funktionen aufrechtzuerhalten“, fasst Müller die Ziele des Projektes zusammen.

Die „Global Initiative for Ungulate Migration“ wird dazu mit neuester GPS-Tracking-Technologie, Kartierungssoftware und Plattformen zum Datenaustausch arbeiten und auch lokales und indigenes Wissen einbeziehen, um die Bewegungen der Huftiere vollständig zu erfassen. Das Team will zusätzlich zu den beobachtbaren auch Huftier-Wanderungen kartieren, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr stattfinden. Darüber hinaus will die Initiative lokales sowie historisch verbürgtes Wissen über Tierbewegungen festhalten. Die Senckenberg- Forscher Müller und Dejid haben dazu beigetragen, die Initiative zu etablieren und tragen im Rahmen der Initiative auch GPS-Daten zur Bewegung mongolischer Gazellen bei.

Genaue Kenntnisse über die Bewegung von Huftieren sind äußerst nützlich und wichtig für den Naturschutz, beispielsweise für die Ausweitung von Schutzgebieten, die Schaffung von Möglichkeiten für die Tiere, Straßen zu überqueren und den Abbau von Barrieren – dies hat die Vergangenheit bereits gezeigt. „Im Winter 2009/2010 wurden die Bewegungen von Wildeseln in der Mongolei detailliert nachverfolgt. Das alte Schutzgebiet erwies sich nachweisbar als zu klein. Das hat dazu beigetragen, dass das Schutzgebiet von Wildeseln in der Mongolei heute etwa doppelt so groß wie vor zehn Jahren ist“, erläutert Dejid. Geht es nach den Vorstellungen der an der Initiative beteiligten Wissenschaftler*innen und Naturschützer*innen, so werden die neuen globalen Migrationskarten den Schutz von Huftier-Wanderungen durch solche und ähnliche Maßnahmen auch weltwelt verbessern.

Publikation: Kaufmann, Matthew J. et al (2021): Mapping out a future for ungulate migrations. Science, doi: 10.1126/science.abf0998

Website der “Global Initiative for Ungulate Migration“

  

Quelle: Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum

Wandern auch: Mongolische Wildesel an einem Wasserloch. Der detaillierten Kartierung ihrer ausgedehnten Wanderungen ist es zu verdanken, dass ihr Schutzgebiet beträchtlich vergrößert wurde. (Copyright: Thomas Müller)
Wandern auch: Mongolische Wildesel an einem Wasserloch. Der detaillierten Kartierung ihrer ausgedehnten Wanderungen ist es zu verdanken, dass ihr Schutzgebiet beträchtlich vergrößert wurde. (Copyright: Thomas Müller)

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