Warum so viele Schweden nicht mehr mit den Wölfen heulen

Warum so viele Schweden nicht mehr mit den Wölfen heulen

Was mit Begeisterung für den Rückkehrer begann, wurde schnell zu Ernüchterung – in Schweden hat sich einiges mit dem Wolf verändert.

Wolf
Wolf

Unser Autor hat die Heimkehr der Wölfe in die mittelschwedische Provinz hautnah miterlebt. Von den Anfängen und der ersten Begeisterung bis zur Ernüchterung und der Wut der Menschen, die heute nicht nur um die Jagd und die Bauern-Kultur fürchten.

Es war unsere erste Schweden-Jagd auf Raufußhühner, vor gut 35 Jahren. In der Gemeinde Torsby, direkt an der Grenze zu Norwegen. Es war noch einer dieser richtigen Winter. Mindestens 20 Minusgrade in den mondhellen Nächten. Wir hörten nachts die Wölfe heulen – damals ziemlich einmalig in Mittelschweden.

Heute heulen die Wölfe überall in der Region. Und die Begeisterung, die seinerzeit auch die meisten Jäger packte, ist der Ernüchterung gewichen. Es war genau die Ecke, über die sich hartnäckig das (nicht gänzlich bewiesene) Gerücht hält, dass dort in einer Winternacht der 1970er-Jahre ein Kleintransporter voll mit Tierpark-Wölfen ausgeladen wurde.

Ein paar Jahre später kauften wir ein altes Haus in dieser wunderbaren Gegend. Rund 80 Kilometer nordöstlich von Torsby, in der Gemeinde Fredriksberg. Da passte damals alles: Forellen im See, ein wohl sortierter Kaufmannsladen, sogar eine Bank und – vor allem – ein großes Feriendorf mit einem gut 12.000 Hektar großen Jagdrevier für Gäste. Es gab eine hervorragende Elchjagd (wir berichteten), Birk- und Auerwild satt zu erschwinglichen Preisen.

Drei Jahre später heulten auch rund ums Feriendorf die ersten Wölfe. Der Direktor der Anlage war begeistert, denn das versprach zusätzliche Gäste. Wölfe-Gucken kam in Mode. Ein Jahr später zerrissen Wölfe den Champion bei der nordischen Meisterschaft für Stöberhunde, in Rufweite seines Besitzers. Die Boulevard-Blätter berichteten in riesigen Buchstaben. Der Stöberhunde-Klub verlegte seine Meisterschaft nach Jahrzehnten in eine andere Gegend, in der es damals noch keine Wölfe gab.

Unser Berufsjäger sagte, dass Elchhunde nicht gefährdet seien. Er habe beobachtet, wie Wölfe mit seiner Jämthündin spielten. Noch im gleichen Jahr blieben die ersten Elchhunde auf der Strecke. Die Biber, zuvor reichlich vorhanden, schienen vom Erdboden verschwunden, das Rehwild wenig später auch. Der Sohn unserer Nachbarn erzählte, dass die Wölfe geduldig in gehörigem Abstand warten, bis er nach dem Eisangeln seine Hechte ausgenommen hat. Wir sahen, er sagte die Wahrheit.

Noch ein Jahr später hatte unsere Jagdgesellschaft die erste Wolfsbegegnung. Wir waren ein Dutzend Leute und machten Mittagspause neben den Autos. Ein Rüde schaute uns auf vielleicht achtzig Gänge zu und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Aber näher ließ er uns nicht an sich heran. Es war eine beeindruckende Begegnung. Dass hin und wieder ein Wolf vom Müllcontainer flüchtete, wenn wir nachts Abfalltüten entsorgten, war ebenfalls nicht beunruhigend, sondern eher spannend.

Noch zwei Jahre später begannen die Probleme mit der Elchjagd. Nicht nur, weil manche Hundeführer ihre Lieblinge nicht mehr von der Leine ließen, wenn sie Wölfe im Treiben spürten. Sondern auch, weil die Elche vor dem Hund im Galopp flüchteten. Sie machten wohl keinen Unterschied mehr zwischen Hund und Wolf. Vorbei die Zeiten, in denen sie sich nur zögerlich mit dem Wind bewegten und genug Zeit ließen für sauberes Ansprechen und einen sicheren Schuss.

Mag sein, dass die Elchbestände kaum zurückgegangen sind, seit Fredriksberg eine der Kern-Wolfsregionen geworden ist. Aber die Strecken sind deutlich kleiner geworden, wie auch das Interesse der zahlenden Gast-Jäger. Und die Waldbesitzer, die in den Wölfen anfangs natürliche Verbündete im Kampf gegen den Verbiss erhofften, sind leise geworden. Jetzt fürchten sie um die Einnahmen aus der Jagdpacht.

Rehwild gibt es mittlerweile wieder, aber sehr vereinzelt und sehr scheu. Dafür stark wie nie zuvor. Einmal hatten wir ein Schmaltier in der Scheune hängen mit 22 Kilo Schlachtgewicht, also ohne Decke, Haupt und Unterläufe. Nur muss man wohl Rentner sein und jeden Tag im Wald, um eines dieser raren, mächtigen Rehe zu erlegen. Vereinzelt gibt es auch wieder Biber. Aber so wenige, dass wir die Bäume rund ums Haus längst nicht mehr mit Drahtgittern schützen müssen.

Foto: Dieter Hopf
Foto: Dieter Hopf

Das Feriendorf vermietet keine Islandponys mehr, seit sie auf den Weiden nicht mehr sicher sind. Der Bauer, der uns wunderbare Lämmer für ein großes Geburtstagsfest verkaufte, hat die Schafhaltung aufgegeben, Und die Leute, die in den ersten Jahren tatsächlich in Scharen zum Wölfe-Gucken kamen, sind rar geworden.

Unsere Nachbarin, in dieser Wildnis aufgewachsen und berühmt als Pfifferling-Königin, traut sich nicht mehr in die Pilze. Die sauenerprobte Hündin meines Freundes Gerhard ging nicht mehr vom Auto weg, nachdem sie kurz Witterung aufgenommen hatte und wohl Wölfe spürte. Und den Großstädtern, die hier ein Paradies für ihre Schoßhunde hatten, wird nun eingebläut, die Lieblinge keinesfalls von der Leine zu lassen.

In Stockholm hat eine breite Parlamentsmehrheit begriffen, dass die Landbevölkerung rebellisch geworden ist

Klar, wir wissen, dass Wölfe dem Menschen (vermutlich) nicht wirklich gefährlich werden, wenn er die Nerven behält. Aber die Vorstellung, bei der Vogeljagd im tiefen Winter mit gebrochenem Bein im Schnee zu liegen, trübt auch die Freude an dieser schönsten Form der Schweden-Jagd. Mag das Erlebnis, in der warmen Hütte zuzuhören, wie draußen die Wölfe heulen, noch so prickelnd sein.

In Stockholm hat eine breite Parlamentsmehrheit begriffen, dass die Landbevölkerung rebellisch geworden ist. Naturschutzverbände klagen zwar regelmäßig gegen die alljährliche Lizenzjagd in den Wolfsregionen. Aber Politiker wollen Wahlen gewinnen und das geht in Schweden wohl nur noch mit einer Raubtierpolitik, die Abschüsse zulässt. Realistisch gezählt, gibt es in Deutschland mittlerweile vergleichbar viele Wölfe wie in Schweden – nur viel mehr Menschen und viel weniger Wildnis. Und, vor allem, deutlich weniger Erfahrung mit dem Experiment, zunehmend naturferne Menschen und wehrhafte Raubtiere unter einen Hut zu bringen.

Abzusehen ist auch hierzulande, dass die Raubtierpolitik den ländlichen Raum massiv verändert und zunehmend die Gesellschaft spaltet. Wie in Schweden schon geschehen. Dort sprechen sie längst vom „geteilten Land“. Denn Bürger-Mehrheiten hat der Wolf nur noch in den großen Städten. Dort, wo die faszinierenden Tiere durch die Dörfer huschen, überwiegen Wut und Angst.