Rotwildjagd im Wandel der Zeit

Das Rotwild und seine Bejagung im Wandel der Zeiten

Für eine richtig verstandene und entsprechend praktizierte Trophäenjagd sollten wir uns nicht entschuldigen oder gar schämen müssen.

Wir bejagen das Rotwild falsch, meint Bernd Krewer.

Bernd Krewer

Rotwild im Nebel
Rotwild im Nebel

Kaum eine andere Tierart unserer Breiten hat in den vergangenen hundert Jahren einen so großen Imageverlust hinnehmen müssen wie das Rotwild. War der Rothirsch noch bis weit in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein bevorzugtes und hoch geschätztes Jagdobjekt des Erb-, Geld- und Politik-Adels, so wird er heute von der Politik und den meinungsbildenden Medien fast nur noch als Wald verwüstender Schädling gesehen (wir berichteten).

Dabei hat sich der Rothirsch in dieser Zeit überhaupt nicht verändert, seine Lebensweise und sein Geweih als sekundäres Geschlechtsmerkmal waren 1950 genauso wie heute.

Aber leider muss man feststellen, dass die Jagd ihren gesellschaftlichen Stellenwert und ihre Reputation weitgehend verloren hat. Noch vor einem halben Jahrhundert hat niemand die Jagd als ernsthaftes Regulativ der heimischen Wildarten, die hier keine natürlichen Feinde mehr haben, ernsthaft infrage gestellt. Heute ist das völlig anders. Die Jagd sei in weiten Teilen tierschutzwidrig und trage in keiner Weise zu einer artgerechten Regulation der Wildtierbestände bei – so ist in den Medien von den Natur- und Tierschutzverbänden gebetsmühlenartig zu hören. Und so wundert es nicht, dass sich kaum noch prominente Politiker und seriöse Künstler trauen, sich zur Jagd zu bekennen.

Um die angeblich nahezu überall weit überhöhten Rotwildbestände in den Griff zu bekommen, setzt der Staat als flächenmäßig größter „Jagdherr“ auf Bewegungs- beziehungsweise Verkaufsjagden mit oft sehr großzügigen Freigaben, die auch von den teilnehmenden, oft völlig Rotwild unerfahrenen Jägern eifrig genutzt werden. Man hat ja schließlich nicht nur für den Naturgenuss bezahlt, sondern möchte für sein Geld auch Strecke machen.

Hätten die ach so jagdkritischen Natur- und Tierschutzverbände nur ein klein wenig Ahnung von Wildbiologie und von dem, was bei diesen Verkaufsjagden mit „Rotwild-Laien“ oft passiert, so müssten sie auf die Barrikaden gehen. Aber man traut den jagdlichen Entscheidungen der Forstverwaltungen offenbar sehr viel Kompetenz „in Sachen Wildbewirtschaftung“ zu und kritisiert die Staatsjagden selten oder nie, obwohl das dringend nötig wäre.

Das Geschlechterverhältnis intakter Rotwildpopulationen sollte in etwa ausgeglichen sein – also bei 1 : 1 – liegen. Tatsächlich dürfte es sich in sehr vielen Rotwildvorkommen viel ungünstiger – also 1 : 2  bis  1 : 3 – darstellen. Liegt der jährliche Zuwachs bei einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis bei etwa 40 % des gesamten Frühjahrsbestandes, so sind es bei einem Geschlechterverhältnis von 1 : 3 schon 60 %. Hier dürfte der Schlüssel dafür liegen, dass trotz ständig steigender Abschusszahlen die Rotwildbestände nicht ab-, sondern zunehmen.

Die sozialen Strukturen beim Rotwild sind kompliziert. Ein nur selten auf Rotwild jagender Jäger muss nicht in der Rotwild-Biologie „promoviert“ haben. Eines aber sollte jeder Jäger, der die Büchse auf Rotwild führt, wissen und beherzigen: das Kalb braucht seine Mutter zwingend weit bis in das auf die Geburt folgende Frühjahr hinein! Insofern ist es immer problematisch, wenn bei Bewegungs- und Verkaufsjagden Alttiere freigegeben werden.

Ein röhrender Rothirsch / Foto: Daniela Fett
Ein röhrender Rothirsch / Foto: Daniela Fett

Gewiss, wenn zu Beginn des Treibens einem Jäger ein einzelnes Alttier ohne Kalb anwechselt, dann könnte man den Schuss wagen. Sobald aber Hunde in Meuteformation unterwegs sind, kann eben nicht ausgeschlossen werden, dass diese das Kalb vom Tier getrennt haben und das nun dem Jäger alleine anwechselnde Alttier nur kurzzeitig „nicht führend“ ist. Daher sollten als Vorsichtsmaßnahme Alttiere tabu sein, sobald Hunde im Treiben unterwegs sind.

Rotwildkälber /Foto: Simone Wolzenburg
Rotwildkälber /Foto: Simone Wolzenburg

In manchen Revieren wird die erste halbe Stunde des Treibens ohne Hunde und nur leise gedrückt. In dieser Zeit werden einzeln kommende Alttiere erlegt, weil man eben davon ausgehen kann, dass – würde das Tier noch ein Kalb führen – dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit im Schlepptau seiner Mutter mit anwechseln würde. Das klingt logisch und soll sich sehr bewährt haben. Dies gilt besonders für Reviere, in denen zuvor auf der Einzeljagd bereits eine größere Zahl Kälber erlegt wurden – und mindestens ebenso viele Alttiere jetzt also nicht mehr führend sind.

Auch die Freigabe von Schmaltieren hat ihre Tücken. Wer kann schon zuverlässig ein starkes Schmaltier von einem schwächeren zweijährigen Alttier, das sein erstes Kalb führt, unterscheiden, wenn diese in Rudelformation vorbei flüchten? Ich kann es nicht. Sicher ist man nur, wenn der häufig zu beobachtende Dreiertrupp (Alttier, Kalb und Schmalspießer oder Schmaltier, also das Kalb des Vorjahres), anwechselt. Und meist kommen sie ja auch in dieser Reihenfolge.

Aus anwechselnden kopfstärkeren Rudeln dürfen daher nur und ausschließlich Kälber frei gegeben und erlegt werden. Selbst Dubletten sind problematisch, weil man nachher zwar möglicherweise ein Kalb und ein Alttier auf der Strecke liegen hat, diese aber nicht zusammen gehören.

Bei Treibjagden „mit Rotwildbeteiligung“ dürfen nur langsam und unbedingt laut jagende Hunde eingesetzt werden, die vom Wild akustisch geortet werden können. Nur dann bleiben Rudelstrukturen erhalten und nur dann sind Entscheidungen, die der Jäger vor einem verantwortbaren Schuss treffen muss, überhaupt möglich.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Lanze für die heute so oft verteufelte Einzeljagd brechen. Wer den August für Kalb und Alttier – Dubletten – nutzt, der kann in manchen Fällen bei den herbst-/winterlichen Bewegungsjagden auf eine allzu lockere Freigabe mehrjähriger Stücke vielleicht verzichten. Gewiss, um die 35 % der gesamten Kahlwildstrecke sollten schon in der Alttierklasse erlegt werden, will man ein Anwachsen seines Rotwildbestandes verhindern. Ein gutes Gewissen kann man nur haben, wenn man mit größtmöglicher Sicherheit jedem erlegten Alttier sein zu ihm gehörendes erlegtes Kalb zuordnen kann.

Es ist schade, dass auch Hirsche zunehmend Treibjagdobjekte werden. Ich kann mich nur schwer damit abfinden. Die Erlegung eines Hirsches auf der Einzeljagd, erst recht in der Brunft, hat doch einen ungleich höheren Erlebniswert als der Schuss auf einen mit heraushängendem Lecker vor einer vielköpfigen Hundemeute vorbei stürmenden Hirsch. Wir sollten unsere Nasen nicht über die Parforcejagd der Franzosen rümpfen, bei denen die „Chasse à courre“ noch heute in hoher Blüte steht…

Die Wölfe dürfen von der Lausitz bis in die belgischen Ardennen wandern, wenn sie es wollen. Unsere größte heimische Wildart, eben das Rotwild, haben wir in Gettos eingesperrt. Jedes weibliche Stück, das diese Grenze überschreitet, muss erlegt werden. Gottlob gibt es – abhängig von den Ländern unterschiedliche – Einschränkungen dieses „Schießbefehls“ bei den Hirschen.

In vielen Rotwildgebieten fehlen die wirklich alten Hirsche in einer Zahl, die für einen frühen Brunftverlauf zwingend notwendig sind. Und alt ist ein Hirsch frühestens mit 12 Jahren, nicht mit acht oder neun. Scharfer Eingriff in die Klasse der ein- bis dreijährigen Hirsche, völlige Schonung der Mittelklasse und Ernte in der Altersklasse – würden wir danach verfahren und so jagen, dann hätten wir auch wieder alte, starke Hirsche, die aus wildbiologischen Gründen notwendig sind. Dass sie nach der Erlegung unsere Trophäenwände schmücken, darüber dürfen wir uns freuen. Es ist aber nur ein positiver Nebeneffekt. Das (einzige) saarländische Rotwildgebiet beziehungsweise die dortige Rotwild-Hegegemeinschaft praktiziert das so schon seit Jahren und die Erfolge können sich sehen lassen!

Für eine richtig verstandene und entsprechend praktizierte Trophäenjagd sollten wir uns nicht entschuldigen oder gar schämen müssen. Sie setzt nämlich immer eine richtige Bejagung des gesamten Rotwildbestandes voraus. Und starke Geweihe in größerer Häufigkeit wachsen nicht dort, wo überhöhte Rotwildbestände ihre eigenen Nahrungsgrundlagen überstrapazieren.

Die Trophäe hat allerdings nur dann – jedenfalls für mich – einen hohen Wert, wenn sie nicht manipuliert wurde. Wer glaubt, seine Hirsche durch extreme Kraftfuttergaben oder gar Blutauffrischung „verbessern“ zu müssen, damit auch seine Mittelgebirgshirsche so stark werden wie Hermann Görings „Rominter“, der legt die Axt an die Wurzeln unserer Jagd.

Den früheren Förstergenerationen, zu denen auch ich gehöre, lagen Wald und Wild gleichermaßen am Herzen. Die gesamte Lebensgemeinschaft „Wald“ war uns wichtig. Und von den Wäldern, die wir aufgebaut und gepflegt haben, „leben“ heute unsere Nachfolger. Wir haben uns bei unseren waldbaulichen Entscheidungen ausschließlich am Standort orientiert. Und zu den dabei zu berücksichtigenden Faktoren gehörte auch das Wild, dessen Anwesenheit bei allen waldbaulichen Planungen und vielleicht notwendigen Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen war.

Lassen wir uns die Freude an der Jagd auf unser Rotwild nicht nehmen! Aber jagen wir so, dass weder die jagdkritischen Naturschutzverbände noch die oft militanten Tierschützer berechtigte Kritik üben können. Sie werden es dennoch tun, damit müssen wir leben. Wenn wir aber unser Rotwild wildbiologisch richtig und tierschutzkonform bejagen, dann werden wir vielleicht einen Teil unserer nichtjagenden Mitbürger überzeugen können. Und das wäre schon ein wichtiger Schritt.

Rotwild / Foto: Werner Fischer
Rotwild / Foto: Werner Fischer