Jagdgegner und Wissenschaft

Jagdgegner und Wissenschaft

Es gibt sie noch die Wissenschaftler, die in einer zunehmend von Jagdgegnern dominierten Debatte zum Zweck und Nutzen der Jagd stehen. Vom fachkundigen Widerstand gegen die Rotwild-Hatz bis zum Drängen auf eine Versachlichung der Auseinandersetzung um den Wolf und den natur- und tierschutzgerechten Waldbau.

Buch mit Brille
Buch mit Brille

Wenige Ereignisse der letzten Jahre haben Jägerinnen und Jäger mehr empört als die zunehmend rücksichtslose Rotwildbejagung unter staatlicher Regie. Der Rothirsch, ohnehin nur noch in einem Bruchteil seines natürlichen Lebensraums geduldet, hat es schwer. Selbst unter Fachwissenschaftlern gerät die Suche nach Fürsprechern unseres größten wildlebenden Säugetiers zum mühsamen Unterfangen. Viele Naturschutzverbände haben den „König der Wälder“ überhaupt nicht mehr auf dem Schirm bei ihren wohlfeilen Forderungen nach Artenschutz.

Einer der Wenigen, die dagegenhalten, ist Professor Sven Herzog, promovierter Forstwirt und Mediziner, Leiter der Dozentur für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der Technischen Universität zu Dresden. Seine wichtigsten Thesen: „Keinesfalls zu viel Rotwild, aber falsche Bejagung.“ und „Wenn wir so weitermachen wie bisher, jagen wir in 20 Jahren nicht mehr.“ Vor allem bei den Jüngern der „Weihenstephaner Lehre“ zum ökologischen Waldumbau macht sich der Experte so regelmäßig unbeliebt.

Herzog sieht die Rotwildgebiete zunehmend verinselt und im genetischen Austausch behindert. Argumente, die sonst gern gegen die Idee vorgebracht werden, etwa Wolfspopulationen auf Schutzgebiete zu beschränken. Während solche Vorschläge beim Wolf für erbitterten Widerstand sorgen, sind sie beim Rotwild schon lange Realität. Für heftige Reaktionen sorgte der Fachmann zuletzt mit einem Gutachten für die Rotwild-Hegegemeinschaft Erzgebirge: Darin gibt er verfehlten Jagdmethoden im Staatsbetrieb Sachsenforst wesentliche Mitschuld an den Wildschäden im Lande.

Ursprung der Auseinandersetzung: Die bereits erwähnte Weihenstephaner Schule am gleichnamigen Forstlehrstuhl der Technischen Universität München. Entstanden auf dem Höhepunkt der öffentlichen Waldsterben-Debatte in den 1970ziger Jahren. Und wesentlich befeuert durch den TV-Journalisten Horst Stern („Sterns Stunde“), auf den eine Entwicklung zurückgeht, in deren Verlauf sich Forst und Jagd immer weiter voneinander entfernten.

Während sich die Öko-Jäger mit dem ÖJV einen eigenen, von Staatsbeamten geprägten Jagdverband schufen, gehören Experten wie Sven Herzog zu den wenigen unbestritten sachkundigen Verfechtern einer Forstpolitik, die Raum für die Belange von Jagd und Schalenwild lässt – und nicht geflissentlich übersieht, dass das vor einem halben Jahrhundert beherrschende Thema Waldsterben hauptsächlich durch enorme Anstrengungen zur Entschwefelung von Öl- und Kohlekraftwerken entschärft wurde.

Heute sterben Bäume hauptsächlich durch Hitzesommer und den Verzicht auf Käfer-Bekämpfung in National- und Naturparkwäldern. Während skandinavische Forstwissenschaftler dem Verdacht nachgehen, dass der gern generell dem Verbiss zugeordnete Mangel an Naturverjüngung seine Ursachen auch im falschen Saatgut haben könnte.

Legendenbildung auf einem Feld, das von Fakten geprägt sein sollte, gehört zur aufgeregten Debatte: L. David Mech, einer der renommiertesten Wildbiologen weltweit, sah sich sogar genötigt, im Spiegel-Interview Heilsbotschaften zum ökologischen Wirken der Wölfe zu widersprechen. Der Mann, der die Auswilderung von Wölfen im US-Nationalpark Yellowstone begleitete, kritisiert Kollegen – und vor allem Medien – für einseitige Darstellung: „Die Existenz der Wölfe muss auch nicht durch positive Beobachtungen gerechtfertigt werden. Diese Berichte zeichnen ein Bild der Wölfe, das ebenso falsch ist wie die Dämonisierung vor hundert Jahren. Sie sind Tiere wie alle anderen auch, sie sind weder Sünder noch Heilige.“

Genau solche Zwischenrufe hören viele Jagdgegner nicht gerne. Sie zitieren lieber Leute wie den Zoologen Josef Helmut Reichholf mit seiner höchst umstrittenen These, dass Jagddruck an der Massenvermehrung des Schwarzwilds schuld sei. Der Professor, bis zum Ruhestand zuständig für die Vogel-Präparate in der bayerischen Staatssammlung, gehört zugleich zu den hartnäckigen Leugnern des Klimawandels und (mit Horst Stern) zu den Wegbereitern des heutigen Naturschutzverbands BUND.

Weil wir schon mal bei den Wölfen waren: Auf diesem Feld sorgt ein weiterer Professor für regelmäßiges Unbehagen. Valerius Geist, Jahrgang 1938 und international anerkannter Verhaltensforscher. Sein Zehn-Stufen-Plan zur wachsenden Gefährlichkeit kompromisslos geschützter Wölfe befeuert immer wieder die europäische Wolfsdebatte. Wobei ihm zugutegehalten werden muss, dass er –im Gegensatz zur großen Mehrheit seiner Kritiker – über Jahrzehnte in direkter Nachbarschaft zu den Raubtieren überlebte. Die Menschen, lautet seine These, sind drauf und dran, den Wölfen ihre Menschenscheu abzugewöhnen.

Geists Stufenplan, an den sich die Wölfe in Europa bisher überraschend exakt halten, nennt als vorletzte Eskalationsstufe, dass sich die Tiere am helllichten Tag in Siedlungen blicken lassen. Danach folgen eher zaghafte Probebisse – und in der letzten Stufe gehört der Mensch ins Beuteschema. Geist ist zwar studierter Biologe, aber für Wolfsfreunde gern mal „nur“ Verhaltensforscher. Wie Erik Zimen, früh verstorbene Gallionsfigur der deutsch-schwedischen Pro-Wolf-Bewegung. Und Besitzer eines domestizierten Wolfsrudels, das für den ersten (eher harmlosen) Angriff auf Kinder in der deutschen Neuzeit sorgte.

Ganz schlimm, wenn Professoren auch bekennende Jäger sind. Wie Hans-Dieter Pfannenstiel, Zoologie-Professor an der Technischen Universität Berlin und Vizepräsident beim Landesjagdverband in Brandenburg: Wenn sich der studierte Biologe kritisch zur Jagdgegnersicht auf Schwarzwild, Hirsche oder Wölfe äußert, folgt der Shitstorm automatisch. Mit rüder Wortwahl und dem Hinweis, dass der Fachbereich des Forschers wirbellose Meerestiere seien. Da verlässt sich die Jagdgegner-Gemeinde lieber auf Überläufer aus dem Forstdienst, zum Beispiel auf die Fernseh-Förster Andreas Kieling und Peter Wohlleben.