Im Gatter der Ohnmacht

Im Gatter der Ohnmacht

Dass das stärkste Schalenwild dort heranwächst, wo Fütterung ein Fremdwort ist, wissen mittlerweile auch Jäger, die aus vermeintlicher Tradition nicht nach dem Wetterbericht füttern, sondern nach dem Kalender. Doch der Streit um Fütterungsverbote ist ewig jung. Aktuell im Siegerland zu studieren, wo sich die Jagdbehörden, der Landesjagdverband NRW und das Fürstenhaus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg deswegen gewaltig in der Wolle liegen.

Wie so oft, wenn es um Wichtiges geht, verschließt sich der Kern der Dinge einer oberflächlichen Betrachtung. Natürlich hat die Theorie ihren Reiz, das Wild sich selbst zu überlassen und abzuwarten, dass sich die Stärksten durchsetzen. Wie bei den Rehen in Schweden oder Sibirien. Aber haben wir hier in Mitteleuropa die Natur, die das noch aushält? Und die Menschen, die kein Problem haben, wenn verhungernde Hirsche neben den Langlaufloipen liegen? 

Einerseits riesige Maisfelder für die sogenannte Energiewende, anderseits der Ruf, die Sauen kurz zu halten – und dann noch das Gejohle der Tierrechtefraktion zu jeder größeren Drückjagd. Das Demo-Publikum ist dort nicht selten identisch mit jenen, die kritiklos die Parole „Wald vor Wild“ skandieren. Und Staatsförster, die im Gatter schießen. 

Die Wahrheit ist: So, wie wir Menschen es uns in der Natur eingerichtet haben, muss Wildmamagement (sorry für die Wortwahl) Kompromisse eingehen. Bis heute gehen Lebensräume vor die Hunde – mit dem Segen von Politik und Verwaltungsrichtern. Bis heute ist fast kein Wald wichtig genug, um einer Autobahn im Weg zu stehen.

Die Folge sind Perversionen wie jene der Wintergatter, mit denen so mancher Forstmann die Lebenslüge stützt, dass Wald und Wild heute noch zusammengehen. Trotz Siedlungsdruck und Raubbau, trotz Monokulturen, die unsere Bienen zur aussterbenden Art werden lassen. Und trotz der düsteren Ahnung, dass es eines Tages kein Wild und keinen Wald geben wird, höchstens noch Baumplantagen für die Pelletsproduktion. Und mit reichlich Wölfen, die mangels wilder Beute über die Nutztierweiden herfallen.

Logisch, alles überzeichnet. Aber deswegen grundfalsch? Und kein Anlass zum Nachdenken? Zum Beispiel darüber, wo Artenschutz auch für Jäger anfangen muss. Nicht erst beim Zweier-Hirsch und den 500-Gramm-Böcken, die auch mit sackweise Kalk im Futter nicht heranwachsen wollen. Und die, im Gatter erlegt, das Jägerherz doch nicht so richtig höher schlagen lassen.

Wie leise waren die meisten Jäger, als eine kleine Welt engagierter Naturfreunde vor einem halben Jahrhundert den „Stummen Frühling“ beklagte? Wie leise sind wir heute, da ein großer Teil der Politik nicht
begreifen will, dass Jäger ganz einsam sind mit ihrem ureigenen Interesse, dass es ihrer Beute gut geht. Das Unbehagen, das sich gegen Schalenwild-Mast und Gatterjagd einstellt, ist auch Folge eines Ohnmachtgefühls im Anblick fortschreitender Lebensraumzerstörung. Und im Anblick diverser Lobby-Organisationen, die sich an solcher Ohnmacht via Spendenkonto bereichern.

Ja, wir Jäger müssen Streitfälle wie jetzt in Berleburg austragen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir dabei nicht zu nützlichen Idioten werden. Sonst bleibt am Ende wirklich nur das Gatter – oder die Auslandsjagd. Und das gar nicht gute Gefühl, dass wir bald genug Greifvögel und Raubzeug haben. Aber keine Hasen mehr.

Foto: Ryszard Adamus
Foto: Ryszard Adamus