Ein Notruf für das Rotwild

Ein Notruf für das Rotwild

Eigentlich lauter Selbstverständlichkeiten, die in der jüngsten Erklärung der Deutschen Wildtierstiftung zur tier- und artenschutzgerechten Jagd auf Rotwild stehen. Dass es wohl trotzdem Streit geben wird, ist ein Armutszeugnis, findet unser Blog-Autor.

Rotwild in der Brunft
Rotwild in der Brunft

Wenn Regeln wie das Abschussverbot für Muttertiere mit Nachwuchs angemahnt werden müssen, ist es wohl weit gekommen mit der gern beschworenen Waidgerechtigkeit. Auch die naheliegende Frage, warum solche Zustände die meisten Tierrechtler offenbar kalt lassen, sagt viel über den wahren Stellenwert der Angelegenheit. 

Wahr ist: Rund die Hälfte Deutschlands ist rotwildfreies Gebiet. Hier ist eine heimische Wildtierart praktisch vogelfrei zur Ausrottung freigegeben. Aus, in letzter Konsequenz, wirtschaftlichen Gründen. Ein großer Teil der Gesellschaft tröstet sich dabei mit der wohlfeilen Ausrede, dass Hirsche nur dem Vergnügen der Jäger dienen. Im übrigen sind sie aus solcher Sicht nichts anderes als Waldschädlinge, allenfalls noch Futter für die Wölfe.

Rotwild prägt Deutschland 

Wir werden in diesem Forum dennoch nicht müde, auf die Missstände hinzuweisen. Rotwild gehört nicht nur in die Landschaft. Es ist ein wesentlicher Faktor auch für die Artenvielfalt. Es prägt typische Biotope unserer Heimat, ist aber zum Sündenbock geworden, auch für alle von Menschen gemachten Waldschäden. Als seien die Hirsche schuld am Sauren Regen und an alten Förster-Sünden. Als hätten sie den Siedlungsbau in die Bergwälder getrieben und ihre Winterweide in den Tallagen freiwillig aufgegeben.

Logisch, auch vergangene Jäger-Generationen haben ihren Anteil an der Misere. Vom Unbehagen beim Kahlwildabschuss bis zur Fütterung jenseits der echten Notzeiten. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Verantwortungsträgen haben sie dazu gelernt, schon ihrem Geldbeutel zuliebe unter zunehmendem Druck der Verbissschäden.

Die Driburger Erklärung, Ergebnis eine Symposiums mit anerkannten Experten, beginnt mit der Feststellung, dass das Rotwild mittlerweile selbst in jenen Lebensräumen im Bestand gefährdet ist, die ihm der Gesetzgeber noch gelassen hat: „In manchen seiner Vorkommensgebiete ist der Bestand so stark reduziert, dass die Art keine Rudel mehr bilden und damit nicht ihrer Biologie entsprechend leben kann.“

Artgerechte, intakte Lebensräume finden die Hirsche nach solcher Rechnung nur noch auf einem Viertel des Staatsgebietes. Andererseits verkennt die Resolution aber nicht, „dass sehr hohe Rotwilddichten in unserer Normallandschaft nicht mit den berechtigten Interessen der Landnutzer zu vereinbaren sind.“ Folge: „In diesem Fall müssen Rotwildbestände reduziert werden.“

Womit wir bei der Reduktionsjagd wären, ein Wort, das viele Jäger nicht hören wollen – auch solche, die es damit übertreiben. An solche richten sich die wichtigsten Mahnungen der Erklärung. Auch bei notwendiger Reduktion, heißt es dort, „müssen alle Prinzipien für einen waidgerechten und damit fairen und verantwortungsvollen Umgang mit Rotwild weiterhin gelten.“

Waidgerechtigkeit als Selbstverständlichkeit, aber nicht überall dort, wo Rotwild Scharf bejagt wird

Im Besonderen: „Dazu gehören neben den im Bundesjagdgesetz formulierten Tierschutzaspekten, u.a. zum Muttertierschutz und dem Verbot der Hetzjagd (§§ 19, 22 BJagdG), auch der Verzicht auf die Nachtjagd, die Einrichtung und Beibehaltung von Wildruhezonen und ein Jagdzeitende am 31.12. eines jeden Jahres.“ Alles Selbstverständlichkeiten, aber nicht überall dort, wo Rotwild hart bejagt wird – bis hin zum Schonzeit-Abschuss im Wintergatter.

Auch unbestritten, zumindest in der Theorie: Für eine wirksame Reduzierung sind Strecken mit einem Kahlwildanteil von mindestens 60 Prozent nötig. Wer sich die Mühe macht, die Praxis zu erkunden, der findet – auch in diesem Forum – reichlich Beispiele für Gesellschaftsjagden, die solchem Anspruch nicht genügen, obwohl sie erklärtermaßen der Reduktion dienen sollten.

Vom brutalen Einsatz hochläufiger, still jagenden Meuten bis zum wenig selektiven Abschuss von Trophäenträgern reichen die belegten Kritikpunkte – zu häufig, um von beklagenswerten Einzelfällen zu sprechen. Die Klagen von Nachsuche-Jägern über Horror-Schüsse häufen sich – wie die stolzen Selbstdarstellungen schneidiger Doublette-Schützen, möglichst mit Video im Internet.

Gefundenes Fressen für Jagdgegner

Wenn ein renommierter Fachverband wie die Wildtiergesellschaft Anlass hat, an Grundregeln der Waidgerechtigkeit wie „Erst das Kalb und dann das dazu gehörende Alttier“ zu erinnern, ist es wohl weit gekommen. Gefundenes Fressen obendrein für die Jagdgegner, die oft im gleichen Atemzug der Schalenwildbekämpfung das Wort reden und mehr Tierrechte einfordern.

Schon vor zwei Jahren haben bayerische Verwaltungsrichter entschieden, dass die Parole „Wald vor Wild“ das Rotwildschlachten nicht schrankenlos rechtfertigen kann. Sie reduzierten einen behördlichen Abschussplan um rund ein Drittel und folgten damit dem Antrag des Revierinhabers, der sich auf die Bedeutung der Hirsche für den Artenschutz berief: Diesen, lautet das Urteil, habe die Jagdbehörde bei der Güterabwägung nicht ausreichend berücksichtigt –ausgerechnet in einem Schutzgebiet von Europa-Rang.