Intakte Natur braucht auch den Schutz von Tieren, die auf den ersten Blick nur da sind, um gefressen zu werden.
Ein Artensterben, das niemand interessiert

Der Juni war einmal die hohe Zeit der Maifliegen. Aber der Schlupf dieser großen, wunderbaren Insekten ist fast überall in Europa zur Seltenheit geworden. Sehr zum Schaden der Natur. Aber das merkt kaum jemand. Auch Peta und Nabu nicht.
Zur Abwechslung mal ein „Tier des Jahres“, das wir wirklich brauchen: Die Maifliege verschwindet schleichend aus unserer Natur. Fische und viele Vögel sind die Leidtragenden. Aber die meisten Tierschützer interessiert das nicht. Bezeichnend: Wer auf der Nabu-Website „Maifliege“ sucht, bekommt keinen einzigen Treffer. Auch nicht mit dem Suchwort „Ephemera Danica“ und „Ephemera Vulgata“. So heißen die großen Insekten wissenschaftlich. Sie sind – oder besser: waren – eine der wichtigsten Nahrungsquellen für viele Tiere. Nicht nur für Fische, sondern auch für Vögel und Fledermäuse.
Noch in der Nachkriegszeit waren die bis knapp fünf Zentimeter langen Insekten vielerorts eine Landplage, auch in Deutschland. Autofahrer sahen kaum noch durch die Windschutzscheibe, wenn die Tiere ihren Hochzeitsflug vollführten. Mancherorts wurden sie als Viehfutter zusammengeschaufelt. Und entlang der Seen und Fließgewässer gab es ein wahres Fressfest für die Fauna. So um die drei, vier Wochen lang, die sich der Ephemera-Schlupf in guten Zeiten hingezogen hat.
Auch wichtig: Millionen und Abermillionen von Ephmera-Larven sorgten für Gewässerpflege. Zwei Jahre lang (oder bei ungünstiger Witterung auch länger) reifen sie im Wasser heran, fressen Sedimente und tragen so dazu bei, die gefürchtete Eutrophierung von Seen zu mindern. Sie graben sich Kanäle und lockern so den Boden. Und sie sind – vor allem auch – eines der vielen kleinen Wunder unserer Natur: Sie wissen offenbar, wie das Wetter ist über dem Wasserspiegel. Und sie fliegen nach dem Schlüpfen instinktiv flussaufwärts, damit die Art ihren Lebensraum behauptet und erweitert.
Eintagsfliegen heißen sie im Volksmund, nicht ahnend, dass die Tiere nur
einen Bruchteil ihres Daseins außerhalb des Wassers verbringen, um sich
fortzupflanzen. Sogar der Hochzeitsflug ist ein beeindruckendes Schauspiel,
wenn die Männchen in Schwärmen um Baumkronen „tanzen“ und auf Weibchen
warten. Die dann nach der Paarung wie hüpfend zur Eiablage über den
Wasserspiegel fliegen. Scharen von Vögeln warten gierig auf diese
Momente, die Fische auch. Sie fressen sich voll, als gäbe es kein Morgen.
Fischer, Fliegenfischer zumal, wissen genau um diesen Lebenszyklus. Der Maifliegenschlupf ist auch die hohe Zeit ihrer Passion. Leider immer seltener. Nicht nur in Mitteleuropa, sondern auch in Skandinavien ist die leuchtend-gelbe „Danica“ weitgehend verschwunden. Und auch die etwas kleinere, graubräunliche „Vulgata“ ist längst nicht mehr so häufig wie noch vor wenigen Jahrzehnten.
Mit ihren Sorgen um die wunderbaren Tiere sind die Fischer übrigens schon sehr lange sehr alleine. Berühmte Fliegenfischer wie der britische Anwalt George Edward MacKenzie Skues (Jahrgang 1858) experimentierten bereits im 19. Jahrhundert mit Methoden, die Insekten in Gewässern anzusiedeln, aus denen sie verschwunden waren. Sie hängten Bretter in Flüsse und Seen, warteten, bis die Fliegen ihre Eier dort abgelegt hatten, wickelten die Bretter in nasse Tücher und fuhren damit zum „Empfänger“-Gewässer, so schnell es damals eben ging.
Zumindest wussten die Alten noch, wie wichtig das sogenannte „Totholz“ für das Insektenleben unserer Gewässer ist. Heute halten sogar manche Naturschützer Äste und Bäume im Wasser für Abfall und Gerümpel. Und auch manche Wasserwirtschaftsämter, deren größte Sorge scheint, dass kein Treibholz die Kraftwerkseinläufe verstopft.
Spannend und zugleich traurig ist: Die riesigen Investitionen in Kläranlagen haben offenbar kaum für Erholung der ursprünglichen Gewässer-Fauna gesorgt. Wo die großen Eintagsfliegen erst mal verschwunden sind, bleiben sie meist für immer weg. Und die Wette gilt, dass sich um solchen Verlust weit weniger Hauptamtliche den Kopf zerbrechen als über die erfolgreiche Wiederansiedlung der Wölfe.
Wohl ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die Moderne gern in Kuscheltierschutz gefällt. Und nicht begreifen will, dass intakte Natur auch den Schutz von Tieren braucht, die auf den ersten Blick nur da sind, um gefressen zu werden. Aber ohne sie wird Artenschutz zur Farce. Warten, bis Fische und Vögel sich vegan ernähren, ist wohl auch keine Lösung. Schon eher das Nachdenken auch über Tiere, die unscheinbar und scheinbar nur lästig sind. Aber das Nachdenken ist halt auch so eine Sache, die dem Mainstream eher lästig scheint.