Die Unkultur der Jäger-Schelte

Die Unkultur der Jäger-Schelte

Wenn Kultur zu den Dingen des Lebens gehört, die einen Streit wert sind, hat sich Thüringens Landesjagdverband um die Kultur verdient gemacht mit seinem Vorschlag, die Jagd zum Weltkulturerbe zu erklären.

Hochsitz im Wald
Hochsitz im Wald

Zur Einordnung: Als das deutsche Bäckerhandwerk mit dem begehrten Titel ausgezeichnet wurde, gab es kaum nennenswerten Widerspruch. Wer will schon bestreiten, dass Brot in seiner Vielfalt und Tradition die Nation geprägt hat? Bei der Jagd hingegen tut sich die Spaltung dieser Nation auf. Ein Teil der Deutschen will wohl nicht wahrhaben, wie sehr das Waidwerk zu den Wurzeln unseres Daseins gehört.

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat es gewagt, seine Zuschauer mit der Frage nach dem kulturellen Status der Jagd zu konfrontieren. In einer Kultursendung, wo dieses Thema wohl hingehört. Die Fülle der oft wütenden Reaktionen übersteigt das für solche Magazine Übliche bei Weitem. Nicht unbedingt zum Nutzen einer intellektuell zielführenden Debatte.

Da ist zunächst die ungeheure Sprachverwirrung, was das Wort Kultur angeht. Findet sie nur auf den eher wenig gelesenen Feuilletonseiten gediegener Zeitungen statt – oder meint der Begriff den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt insgesamt? Die Reaktionen auf den Thüringer Vorstoß lassen fürchten: Der Zeitgeist versteht von Kultur genauso wenig wie von der Jagd.

Viele wissen nicht, dass Landeskultur mitnichten die schönen Künste aus regionalem Blickwinkel meint, sondern schlicht die Landwirtschaft, die eben auch zu unserer Kultur gehört. Und wie sehr die Jagd mit einer biedermeierlichen Sehnsucht nach unberührter Natur konfrontiert ist. Dass das Zurück zur Natur letztendlich den Verzicht auf eine Umwelt bedeutet, in der es sich die Menschen über Jahrtausende einigermaßen gemütlich gemacht haben.

Jagd ist in diesem Sinne Kultur vom Feinsten. Ursprung des Erwerbs eiweißreicher Nahrung, die auch die Evolution der Menschheit prägte, lange vor der Entwicklung der Nutztierhaltung – und der Natur sicher noch näher als letztere. Jagd ist das Motiv bahnbrechender Erfindungen, von der Waffentechnik bis zur Kochkultur. Und Ursprung der Einsicht, dass der Mensch schützen muss, was er dauerhaft nützen will.

Wie der Homo sapiens mit solchem Erbe umgeht, wird heute zur spannenden Frage, weit über die Jagd hinaus. Der Kulturkampf hinterfragt zunehmend selbst das Existenzielle – bis hin zur Notfallrettung per Hubschrauber und zur Frage, ob der Hunger in Entwicklungsländern zum Schaden der Natur und unter Hinnahme tierischen Leidens bekämpft werden darf.

Zeigt die Jagd nur exemplarisch, dass menschliches Dasein an sich Natur verbraucht und nachhaltig verändert? Lässt sie auch Naturferne ahnen, wie brüchig die Träume von einer heilen Welt sind? In der tatsächlich fernab von vermeintlicher Humanität immer die Gretchenfrage gelten wird: Fressen oder Gefressenwerden? Auf die sich die Masse der Menschen – wohl in Wahrheit unverbesserlich – fürs Fressen entscheidet.

So betrachtet ist Jagd Kultur, weil sie Dasein und Umfeld gestaltet. Dass sie auch die schönen Künste mitgeprägt hat – von der Höhlenmalerei bis zu den Jagdhornbläsern – ist hübsches Beiwerk, nicht mehr und nicht weniger. Mehr zählt der entscheidende Einfluss auf menschliches Handeln. Das Wissen um den zwingenden Zusammenhang zwischen Fleischessen und Tieretöten. Und letztlich auch die Einsicht, dass der Tod und das Sterben zum Dasein gehören. Gerade in einer Moderne, die solche Einsicht bei aller Ohnmacht in den Hintergrund drängen will und damit ihre Wurzeln leugnet. Es ist hohe Zeit, das Lügen zu beenden.