Die Hassliebe für die Provinz

Die Hassliebe für die Provinz

Riesen aufregung um ein Interview, das die Schriftstellerin Juli Zeh der Basler Zeitung gegeben hat: Übers Leben in der Provinz und deren vermeintliche Rückständigkeit.

Landleben
Landleben

Juli Zeh hat das Zeug zur Hassfigur. Sie kommt aus der Stadt, lebt in einer kleinen märkischen Ortschaft. Und sie macht kein Hehl daraus, wie sehr sie nicht selten unter solchem Umfeld leidet.

Stadtflüchtlinge solcher Sorte sind Landwirten nur zu gut bekannt. Und auch den Jägern. Mit unangeleinten Hunden, die nicht folgen. Mit vermeintlich klugen Leserbrief-Kommentaren in der Lokalzeitung. Und mit erkennbar ausgeprägten Problemen, mit den „Eingeborenen“ warm zu werden.

Soweit die Klischees. Aber über viele Interview-Sätze der linken Autorin lohnt es sich nachzudenken. Über diesen zum Beispiel: „Hier draußen sagen Eltern noch zu ihren Kindern: ‘Hör auf zu heulen, sonst fängst du dir eine.’ Da gibt es noch ein paar Jahrzehnte Rückstand in der Entwicklung bestimmter Werte.“

Mit der Autorität ist es in der Tat so eine Sache. Wo Lehrer immer recht haben, auch wenn sie Unsinn verzapfen. Wo man Entscheidungen der Obrigkeit wie gottgegeben hinnimmt: Da ist es in der Tat womöglich an der Zeit, über die Erziehung zum kritiklosen Gehorsam nachzudenken. Wohl gerade auch in den neuen Bundesländern.

Vermutlich ist die Aufforderung nicht ganz im Sinne von Frau Zeh. Aber es könnte nicht schaden, wenn sich die Menschen auf dem Lande vernehmbarer wehren. Gegen Tierrechtstheorien und gegen irrationale Sehnsüchte nach einer vermeintlich heilen Welt. Und überhaupt gegen Ratschläge von Menschen, die keine Ahnung haben. Aber davon jede Menge.

Dass Frau Zeh ihre Weisheiten ausgerechnet in einer schweizerischen Zeitung kundgetan hat, ist erstaunlich: Soviel Bauernstolz und Erdverbundenheit wie in der Eidgenossenschaft ist sonst selten in deutschsprachigen Landen. Soviel Mitsprache bei politischen Entscheidungen gibt es anderswo überhaupt nicht. Die Folgen sind allgegenwärtig, zuletzt bei einem krachend gescheiterten Referendum zur Abschaffung der Jagd (wir berichteten).

Ebenfalls bemerkenswert am Interview: Da lässt eine alternativ-intellektuelle Stadtfrau Spuren von positivem Neid erkennen, wenn es um dörflichen Zusammenhalt und dörfliche Wertegemeinschaften geht: „Auf dem Dorf weiß man noch, was Hilfsbereitschaft und Loyalität bedeuten.“

Wer sich die Mühe macht, Bücher der Volljuristin zu lesen, weiß: Genau beim Punkt Zusammenhalt verzweifelt Frau Zeh an den Menschen der Großstadtgesellschaften. An den Egoismen bis hinein in die vermeintlich aufgeklärten Kreise alternativ-veganer Lebensart. Beherrscht von Menschen auf der Suche nach dem ganz persönlichen, kleinen Glück. Allenfalls mit einem mitleidigen Lächeln für Leute, bei denen es nur für den Aldi-Einkauf reicht.

Wo die Sozialdemokratin Zeh wohl besonders irrt, muss auch gesagt sein: Ihre Feststellung, die Fremdenfeindlichkeit sei vor allem in der Provinz dramatisch gewachsen, widerspricht nicht nur der Kriminalitätsstatistik, sondern auch der gelebten Wirklichkeit. Es gibt zahllose Beispiele gelungener Integration in kleinen Gemeinden. Und Familien schwarzer Hautfarbe, die sich schneller eingelebt haben als so manche Stadtmenschen auf der Flucht vor der urbanen Realität.

Das Landleben, das ist nicht nur der Geruch von Schweinestall und Misthaufen, nicht nur Rehessen für die Jagdgenossen und Hubertus-Messen, nicht nur Erntedank und Maschinenring: Es ist, vor allem Gemeinschaft. Mit Zusammenhalt und sozialer Kontrolle, mit kurzen Wegen, auch in der Politik. Und wohl sogar zum Neidischwerden. Was gut herauszuhören ist, wenn sich halbwegs kluge Städter über ihr selbstgewähltes Dasein auf dem Lande auslassen.