Die EU-Waffenrichtlinie – ein Fall von Etikettenschwindel

Die EU-Waffenrichtlinie – ein Fall von Etikettenschwindel

Schießstand
Schießstand

Vor einiger Zeit, im Oktober 2001, veröffentlichte die EU das Papier „European Governance – a White Paper“, das mit prophetisch anmutenden Sätzen begann wie „Viele Menschen verlieren das Vertrauen in ein kaum nachvollziehbares und komplexes System… viele Europäer fühlen sich entfremdet von der Arbeit der Union… Richtlinien müssen effektiv und rechtzeitig in Kraft treten und zudem liefern, was auf Grundlage von klaren Zielen, einer Einschätzung der Auswirkungen und, wo verfügbar, auf der Basis von vergangenen Erfahrungen gebraucht wird.“

Noch immer tief getroffen vom Ergebnis des Brexit-Referendums fragen sich Journalisten und Politiker nun laut, warum sich so viele EU-Bürger – nicht nur in Großbritannien – von den undemokratischen Entscheidungsprozessen der EU entfremdet fühlen. Leider muss man für eine Lehrstunde in EU-Bürokratie nicht weiter schauen als auf das willkürliche Verfahren um die umstrittene DG-Home-Feuerwaffen-Richtlinie, ihre fehlgeleitete „Task Force“ und deren fragwürdige „Expertengruppe“.

Alles begann 2012 mit einer Absichtserklärung der damaligen EU-Kommission zur Erweiterung des EU-Waffenrechts, angeblich, um dem UN-Feuerwaffen-Protokoll nachzukommen, und mit dem Ziel, den illegalen Handel „mit Waffen aus den jüngsten Balkan-Kriegsszenarios“ einzudämmen – an sich ein ehrenwertes Ziel. Aber anstatt neue Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen zu entwickeln oder illegale Militärwaffen in einstigen Krisenregionen zu reduzieren (etwa mithilfe eines EU-finanzierten Rückkauf-Programms), hat die 2013 aufgestellte neue „Task Force“ sofort damit begonnen, neue (und völlig widersinnige) Richtlinien zur Deaktivierung veralteter Waffen zu entwerfen und Wege zu entwickeln, um bis dato legale Waffentypen als „besonders gefährlich“ in Zukunft verbieten zu können.

Anstatt gegen kriminelle oder terroristische Netzwerke in der EU vorzugehen, hat sich die EU damit einzig und allein gegen Millionen gesetzestreue Waffenbesitzer gestellt: Jäger, Sportschützen und Waffensammler, private Sicherheitsfirmen, militärische Reservisten-Vereinigungen, Reenactment-Gruppen, die historische Ereignisse nachspielen, und Museen müssten – ginge es nach dem Vorstellungen der Task Force unter Führung des Italieners Fabio Marini – eine Fülle an neuen Auflagen und einschränkenden Maßnahmen erdulden.

Es ist also nicht verwunderlich, dass DG Home mit einer Protestwelle von beunruhigten Bürgern und betroffenen Interessensgruppen konfrontiert wurde – auch viele Mitglieder des europäischen Parlaments schlossen sich dem Protest an. Obwohl die „Task Force“ weiterhin jede Kritik an ihren unhaltbaren Statistiken und falschen Tatsachendarstellungen zurückwies, verlor die EU-Feuerwaffenrichtlinie vorerst an Fahrt. Cecilia Malmström, bis Ende 2014 die dafür zuständige Kommissarin für Migration und Inneres, legte das Projekt auf Eis.

Doch Ende 2015, als Europa von den Terroranschlägen in Paris erschüttert wurde, kam die Richtlinie unter einem neuen Namen wieder hervor. In einem unglaublichen Fall von bürokratischem Dünkel und Etikettenschwindel wurde die EU-Feuerwaffenrichtlinie jetzt zur vordersten Triebkraft im Kampf gegen den islamistischen Terror erklärt. Die verantwortlich zeichnenden Bürokraten scheuten sich dabei nicht einmal, wichtige Details über die Tatwaffen, deren Beschaffungswege und über polizeiliche Ermittlungspannen zu missachten oder umzudeuten, und andererseits vage Behauptungen aufzustellen, die Terroristen hätten sich ihre Tatmittel aus dem Internet oder über Waffensammler beschafft. Darauf in den Anhörungen von Parlamentariern und Interessenvertretern angesprochen, blieben sie die Antworten schuldig. Denn das Gros der bei der jüngsten islamistischen Welle von terroristischen Attentaten benutzten Tatwaffen stammt eindeutig aus dem Balkan- und Nahostraum, wo hierzulande verbotene Kriegswaffen für Spottpreise gehandelt werden und wo immer noch zig Millionen unkontrolliert gehorteter Waffen auf Abnehmer warten.

Tatsächlich ist eine solche Schönfärberei von Waffengesetz-Verschärfungen nichts Neues: Ähnliche Bemühungen, Sport-, Jagd- und Sammlerwaffen zu kontrollieren, ereigneten sich schon in den 1970er- und 80er-Jahren, als Westeuropa von der ersten Welle eines internationalen Terrors überrollt wurde. Der Privatbesitz halbautomatischer Waffen und der Erwerb sogenannter Anscheinswaffen, also gefährlich aussehender Feuertypen, wurden untersagt. Magazinkapazitäten wurden beschränkt, ja sogar Gas- und Signalwaffen mussten registriert werden – es wurde schon damals alles versucht. Und es fehlte natürlich auch nicht an einem mit großem personellen und finanziellen Aufwand betriebenen Bürokratie-Einsatz, um diese Waffen zu kategorisieren, zu registrieren oder zu konfiszieren. Eine messbare Auswirkung auf den Terrorismus oder anderweitige Formen der Gewaltkriminalität blieb allerdings aus.

Es hat damals nicht funktioniert und es wird auch heute nicht helfen. Aus behördlicher Perspektive sind bürokratische Kontrollmaßnahmen, wie hier in der neuen EU-Richtlinie vorgeschlagen, nichts als Placebos und eine Verschwendung von Geldmitteln und Arbeitszeit. Und politisch gesehen offenbaren sie die Ratlosigkeit jener, die politisch verantwortlich sind. Als wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass man mit solchem politischen Aktivismus den neuen Formen von grenzüberschreitendem Terrorismus und Gewaltkriminalität nicht Einhalt gebieten kann, dann zeigte dies der Anschlag eines selbstmordbereiten Einzeltäters mit einem Lkw auf der Uferpromenade in Nizza am französischen Nationalfeiertag. In weniger als drei Minuten hatte der Amokfahrer 84 Menschen getötet und über 300 teilweise schwerstverletzt.

Jeder Kriminologe weiß, dass das Tatmittel x-beliebig und austauschbar bleibt, der Tatverlauf wird im Wesentlichen nur von der kriminellen Energie und Phantasie des Täters bestimmt.

Dr.rer.pol. David Th. Schiller ist erster Vorsitzender von prolegal e.V. einer Interessengemeinschaft für Waffenbesitz. http://prolegal.de/
Dr.rer.pol. David Th. Schiller ist erster Vorsitzender von prolegal e.V. einer Interessengemeinschaft für Waffenbesitz. http://prolegal.de/