„Bio“ zwischen Wunsch und Wirklichkeit

„Bio“ zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Naturidylle
Naturidylle

Bei Meinungsumfragen können die Menschen gar nicht genug kriegen von „Bio“ und „Tierwohl“. Aber beim Lebensmitteleinkauf bleiben die guten Vorsätze meistens auf der Strecke. Jäger können ein Lied davon singen.

Die Deutsche Wildtier Stiftung ließ die Meinungsforscher aus Allensbach gut 1400 Deutsche nach ihren Idealvorstellungen von intakter Natur und gesunden Lebensmitteln befragen. Wer die Ergebnisse liest, könnte glauben, dass Discounter und Supermärkte keine gute Zukunft haben. So versessen sind die Zeitgenossen auf umwelt- und tierschutzgerecht erzeugte Nahrung.

Die Realität sieht wohl ganz anders aus: Auf dem Lebensmittelmarkt verzeichnet „Bio“ zwar enorme Zuwachsraten, der Marktanteil liegt jedoch immer noch unter fünf Prozent. Auch beim Wildbret, das ja zweifelsfrei so richtig „Bio“ ist: Gerade mal 1,5 Kilo trägt die Jagd zum Fleischverzehr des Durchschnittsbürgers bei, der jährlich stolze 60 Kilo Fleisch konsumiert.

Wir ahnen: Der moderne Mensch ist in seiner Psyche überaus gefährdet. Gehen doch seine Idealvorstellungen und sein Ernährungsverhalten weit auseinander. Dass gesunde und – auch moralisch – hochwertige Ernährung vor allem auch eine Frage des Geldbeutels ist, wissen wir längst aus anderen Untersuchungen. Wenn Wunsch und Wirklichkeit sich immer weiter voneinander entfernen, ist aber auch die Befürchtung realistisch, dass solches Missverhältnis die Psyche sehr gefährdet.

Es gab Zeiten, da war die Wahl des Waschmittels der Werbung zufolge eine Frage des guten Gewissens. Nicht etwa wegen der Umweltbelastung durch Chemikalien, sondern wegen der möglichst reinweißen Hemden des Ernährers. Heute ist solcher Grauschleier nicht mehr verpönt, dafür müssen sich Wurstbrot-Konsumenten für das behauptete Elend der Nutztiere rechtfertigen. Sowas kann auch krank machen.

„Die Bürger finden Bio in Umfragen super“, kommentiert Michael Miersch, der Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung, „doch der Anteil der Bio-Produkte am Lebensmittel-Gesamtumsatz beträgt nur 4,4 Prozent. Schon daran zeigt sich, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht immer zusammenpassen.“

Bestätigt hat die Allensbach-Umfrage auch den Verdacht, dass die rasch wachsende Sensibilität für Umwelt-Fragen mit steigender Naturfremde einhergeht: 84 Prozent der Befragten finden den Umweltschutz wichtig, aber nur 35 Prozent der Jüngeren zwischen 14 und 19 Jahren bewegen sich regelmäßig in der Natur. Unter Schulkindern ist die Naturferne noch erschreckender (wir berichteten)

Bio Ja, Wildfleisch Nein?

Anfügen lässt sich, dass der Konsum von gluten- und laktosefreien Lebensmitteln den Anteil der Menschen bei Weitem übersteigt, die auf solche Ernährung aus medizinischen Gründen angewiesen wären. Auch der Missstand, dass die oft miesen Umweltbilanzen „moralisch“ unbedenklicher Nahrung die Konsumenten solcher Kost wohl wenig interessieren, gehört in diesen Zusammenhang.

Wie der Hochmut von Leuten, die behaupten, dass Verbraucher selber schuld seien, wenn sie nicht genug Geld für „unbedenkliche“ Lebensmittel ausgeben wollen. Meistens haben die derart Gescholtenen keine andere Wahl. Wie die Bauern, die sich gegen das Preisdiktat der Einzelhandelsriesen machtlos fühlen. Es ist wohl die Wirklichkeit, die der Idylle von den glücklichen Kühen im Wege steht. Und Soja-Milch macht diese Realität auch nicht besser – vor allem nicht in den Herkunftsländern.

Dass wir Jäger zunehmend Probleme haben, Wildbret zu einigermaßen vernünftigen Preisen an den Mann (oder an die Frau) zu bringen, gehört zu den paradoxen Folgen der beschriebenen Scheinwelt. Im Gegensatz zum folienverpackten Schnitzel vom Discounter ist dem Rehschlegel nun mal anzusehen, dass seine Verfügbarkeit ein Reh das Leben kostete.

Wenn immer mehr Verbraucher solchen Zusammenhang verdrängen, entgeht ihnen nicht nur ein wertvolles Lebensmittel zu sehr erschwinglichen Erzeugerpreisen. Sie müssen sich auch fragen lassen, wie die Jäger zugleich dem Verbraucher-Anspruch genügen sollen, die Sauenbestände kurz zu halten und die Bade-Strände frei von Gänse-Kot. Oder soll demnächst auch das Wildbret in der Biogas-Anlage landen?