Auch die Schafe werden uns fehlen

Auch die Schafe werden uns fehlen

Schäfer und seine Herde
Schäfer und seine Herde

Vor ein paar Tagen beschäftigten uns die Maifliegen, deren Aussterben selbst naturverbundene Mitmenschen meist nicht weiter kümmert. Diesmal ist eine ebenfalls aussterbende Unterart der Gattung Mensch an der Reihe: Mit den Schäfern drohen typische Kulturlandschaften nebst ihrer Fauna und Flora aus unserer modernen Welt zu verschwinden.

Es ist noch kein Jahrhundert her, dass Bauern den Wanderschäfern Geld (oder Kost und Logis) dafür bezahlten, dass sie mit ihren Tieren auf den Wiesen Station machten. Schafsdung war ein geschätzter Wertgegenstand, die Bodenbearbeitung durch die Schafe ein willkommener Nebeneffekt. Dann kam der Kunstdünger auf und die Fruchtfolge außer Mode.

Heute sorgen wir uns, auf EU-Ebene zumal, hauptsächlich darum, dass nur ja kein Schaf die immer kleiner werdenden Weidegebiete verlässt und sich an Ackerland verbeißt. Sogar die Wanderwege der selten gewordenen Wanderschäfer sind streng limitiert. Gleichzeitig gibt’s fast überall in Europa öffentliche Gelder für die landschaftspflegerische Leistung von Schafen und Schäfern.

Gerade einmal zehn, allenfalls 20 junge Leute jährlich lassen sich in Deutschland noch zum Schäfer ausbilden, in Bayern sind es derzeit fünf, in Baden-Württemberg sieben. Und das in einer Zeit der Öko-Moden und der Sehnsucht nach Natur. Am Geld allein kann es nicht liegen: Bis zu 2000 Euro brutto beträgt der Gesellenlohn, da zahlt so manche Airline ihren Flugbegleitern weniger.

Nur, das Schäferleben verträgt sich nicht mit geregelten Arbeitszeiten. Arbeit gibt’s auch mitten in der Nacht, zumal wenn die Lämmer zur Welt kommen. Also kein Beruf für Weicheier, sondern einer mit viel Freiheit, aber auch mit viel Verantwortung. Vor allem für Natur und Kreatur. Und auch für die Wildtiere: Schafweiden sind ein idealer Äsungsraum für Hirsch und Reh, inklusive Natur-Apotheke: Seltene Pflanzen, darunter auch viele Heilkräuter, wachsen nirgendwo besser und in größerer Vielfalt als auf Schafswiesen.

Obwohl Schäfer nicht gern drüber reden: Immer mehr wird auch die Veganer-Mode zur Bedrohung. Nicht so sehr, weil Lamm-Braten aus der Mode käme, sondern auch wegen der Verteufelung natürlicher Textilien. Dabei ist Schafswolle ein uraltes Hightech-Material ganz ohne Chemie und Problem-Abfall: wasserabweisend, vor allem als Loden, temperaturausgleichend und im Bio-Müll kompostierbar.

Wenn sich immer mehr Menschen lieber in Kunstfasern kleiden und Leder für Teufelswerk halten, bleibt schon dies nicht ohne Folgen. Bis hin zu Schweißfüßen. Schlimmer noch ist, dass Fleisch vom Schaf zwar durchaus gern gegessen wird – jedoch am liebsten aus Übersee zu Niedrigpreisen und ohne Rücksicht auf die Ökobilanz horrender Transportwege.

Trotz allem entdecken nicht nur Feinschmecker die Qualität heimischer Produkte: Auf dem neuen Internet-Portal der Schäfer gibt es immerhin schon 250 Besucher täglich: www.genuss-vom-schaefer.de.

Seine Tiere, sagt Günther Czerkus, der Verbandsvorsitzende der deutschen Wanderschäfer, haben „jeden Tag die Sonne gesehen“, bevor sie dereinst als Braten auf den Tellern landen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Menschen ihre Heimat noch jeden Tag wiedererkennen – von den Deichen im Norden bis zu den Wacholderweiden der Schwäbischen Alb.

Neuerdings sind als Bedrohung des uralten Berufsstands die Wölfe dazu gekommen. Wie in Schweden, wo das Problem schon zwei Jahrzehnte früher begann und heute die Schafhalter in Scharen aufgeben, weil sie sich alleine gelassen fühlen und der Staat zwar Millionen für die heimgekehrten Wölfe ausgibt, aber mit der Entschädigung für die Herdenbesitzer knausert. Wie bei uns, ließe sich ergänzen.

Schäfer Czerkus glaubt, dass das Experiment mit den Wölfen gut ausgehen könnte. Wenn die Lebensräume der Wölfe einerseits und die Kulturlandschaft andererseits klar gegeneinander abgegrenzt und Konflikte so im Ansatz schon vermieden werden: „Wölfe haben in unseren Siedlungen und auf unseren Weiden nichts zu suchen. Wir brauchen eine klare Grenzziehung.“

So wie eine Wölfin es in freier Natur nicht duldet, wenn sich Menschen ihren Welpen nähern, fordert Czerkus, müsse die Distanz auch umgekehrt gelten: „Machen wir die Wölfe zahm, werden wir über kurz oder lang noch ganz andere Probleme bekommen. Dann wird der Wolf als erster darunter leiden.“ Und mit den Schafen auch die vertraute Natur, die ja in weiten Teilen Deutschlands Kulturlandschaft ist, geprägt von den Schäfern und anderen Menschen.