Keine Abschaffung der rotwildfreien und rotwildgeduldeten Gebiete

Veröffentlicht am 24.07.2023

Deutscher Bundestag nicht zuständig: AfD scheitert mit Antrag „Wildökologische Raumplanung beim Rotwild ermöglichen – Rotwildfreie Gebiete abschaffen“

Ein Rothirsch. (Symbolbild: Kelly Rudland auf Pixabay)
Ein Rothirsch. (Symbolbild: Kelly Rudland auf Pixabay)

Die Abschaffung der gesetzlich festgelegten rotwildfreien und rotwildgeduldeten Gebiete in den Bundesländern forderte die AfD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag (20/6917), den der Deutsche Bundestag in seiner 106. Sitzung am 25. Mai 2023 an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur federführenden Beratung sowie zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss, den Verkehrsausschuss, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie den Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen überwiesen hatte (wir berichteten).

Mit dem Antrag der Fraktion der AfD sollte die Bundesregierung insbesondere aufgefordert werden,

1. im Rahmen der Novellierung des Bundeswaldgesetzes die wildökologische Raumplanung zu implementieren, um in den Regionalplänen der Bundesländer Landschaftsrahmenpläne wildgerecht anzupassen und im Bereich der Verkehrsplanung die wildökologische Raumplanung besser berücksichtigen zu können;

2. sich gemeinsam mit den Ländern dafür einzusetzen, die gesetzlich normierte Aufteilung der Länder in rotwildfreie und rotwildgeduldete Gebiete abzuschaffen, um einen gesunden Wildbestand zu erhalten und den genetischen Austausch bundesweit wieder zu ermöglichen;

3. gemeinsam mit den Ländern das bundesweite Rotwildmanagement fakten- und wissensbasiert sowie zeitgemäß umzusetzen.

Ergebnis: Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie alle mitberatenden Ausschüsse empfehlen, jeweils lediglich gegen die Stimmen der AfD dem Bundestag, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung:

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 20/6917 in seiner 41. Sitzung am 5. Juli 2023 abschließend beraten.

Die Fraktion der SPD bemerkte, die Situation beim Rotwild in Deutschland sei ein Thema, was ohne Zweifel Relevanz hätte. Dieses von der Fraktion der AfD auf die parlamentarische Tagesordnung gesetzte Thema werde aber bereits intensiv diskutiert. Deshalb sei die Sitzung des Ausschusses nicht der erste Moment, wo darüber gesprochen werde. Die Fraktion der FDP hätte zu Recht darauf hingewiesen, dass man es hier mit einer Zuständigkeit der Länder zu tun habe. Die Fraktion der SPD hätte bisher immer den Eindruck gehabt, dass auch die Fraktion der AfD die Ansicht teile, dass die Jagd vor allem von Landesseite begleitet und geregelt werde. Sie könne sich an entsprechende Aussagen der Fraktion der AfD in der vergangenen (19.) Legislaturperiode u. a. im Kontext des Austausches über das Bundesjagdgesetz deutlich erinnern. Es sei nicht zutreffend, dass die Bundesregierung in diesem Bereich untätig sei, auch wenn das Thema Ländersache sei. Zudem gehe es nicht nur um die Gebiete von Rotwild, sondern darum, dass generell der Lebensraum von Wildtieren durch Straßen zerschnitten werde. Es existierten schon viele Initiativen zum Bau von Grünbrücken im Rahmen von Bauprojekten. Geplant sei von Bundesseite, dass das existierende „Bundesprogramm Wiedervernetzung“ durch die Finanzierung des Baues weiterer Querungshilfen im Rahmen des „Aktionsprogrammes Natürlicher Klimaschutz“ gestärkt werde. Deshalb wäre den Forderungen des Antrages der Fraktion der AfD quasi schon „nachgekommen“ worden. Die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP würden weiterhin im Austausch mit den Ländern beraten, wie der Bund bei diesem Thema unterstützend wirken könne, weil es wichtig sei, dass generell die Gebiete nicht zerschnitten würden, d. h. versucht werde, in den Lebensräumen des Wildes Verbindungen zu schaffen. Das sei ein grundsätzliches Anliegen für jedes Wildtier und nicht nur für das Rotwild. Der Antrag der Fraktion der AfD sei abzulehnen, weil der Bund nicht federführend zuständig sei und die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP schon an dem Thema dran seien.

Die Fraktion der CDU/CSU äußerte, der Antrag der AfD enthalte inhaltlich vieles Richtiges. Dem werde kaum etwas „entgegengehalten“ werden können, soweit es um die inhaltlichen Fragen gehe. Der Antrag der Fraktion der AfD lehne sich teilweise an ein Positionspapier des Deutschen Jagdverbandes an, von dem Forderungen übernommen worden seien. In der Tat werde eine großräumige wildökologische Raumplanung gebraucht, weil das Rotwild verinselt sei und in kleine Lebensbereiche zurückgedrängt werde, was auch genetisch nicht gut sei. Dieser Trend setze sich leider immer weiter fort, nicht nur durch den Straßenbau, sondern auch durch andere Maßnahmen. Durch die zunehmende „Verdrahtung“ der hiesigen Landschaft durch wolfsichere Einzäunungen und Freiflächen-Photovoltaikanlagen würden die Wanderungskorridore des Rotwildes zerschnitten und abgeriegelt. Deswegen wäre eine großräumige wildökologische Raumplanung gerade jetzt, wo ein Waldumbau stattfinden solle und viele Kalamitätsflächen in den Wäldern bestünden, im hohen Maße sinnvoll, d. h. es sollten durch Besucherlenkungsmaßnahmen und andere wildökologische Raumplanungsmaßnahmen dem Rotwild mehr Entfaltungsmöglichkeiten gegeben werden. Soweit es um die Frage der Abschaffung rotwildfreier Gebiete gehe, müsse sehr genau differenziert werden. Es existierten Bundesländer mit einer dünnen Besiedelungsdichte, u. a. Mecklenburg-Vorpommern, wo es nicht gerechtfertigt wäre, wenn es dort gesetzlich festgelegte rotwildfreie Gebiete gäbe. Da könne das Rotwild im ganzen Bundesland frei wandern. Es gebe aber andere Region in Deutschland, z. B. Nordrhein-Westfalen, wo wegen der dichten Besiedelung und der vielen Verkehrsinfrastrukturdichten nicht umhingekommen werde, rotwildfreie Gebiete ausweisen zu müssen. Das müsse länderspezifisch gesehen werden. Da greife der Antrag der Fraktion der AfD etwas zu kurz, weil er vorwiegend in die Länderkompetenz falle. Deswegen werde die Fraktion der CDU/CSU den Antrag ablehnen, so sehr er inhaltlich gute Ansätze enthalte. 

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN merkte betreffend der Aussagen der Fraktion der CDU/CSU an, dass es nicht nur die Aufgabe der Politik sein könne, die Wünsche und Vorstellungen des Deutschen Jagdverbandes zu diskutieren, sondern diese mit den Wünschen und Forderungen, die z. B. der Deutsche Bauernverband oder die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände an die Politik formuliert hätten, auch in Zusammenhang zu bringen. Diesbezüglich müsse ein guter Kompromiss gefunden werden. In vielen Gebieten in Deutschland bestünden überhöhte Wildbestände, die den Waldumbau massiv erschwerten und dafür sorgten, dass viel Steuergeld, das von Bundes- und Landesseite in den Waldumbau investiert werde, nicht zum Erfolg kommen könne, weil die jungen Pflanzen nicht wegen der Äser wachsen könnten. Deswegen müsse an vielen Stellen zusammen mit den Jägerinnen und Jägern ein Wildtiermanagement an den Tag gelegt werden, dass mit Intervall- und Schwerpunktbejagung mit zum Erfolg beitrage. Es müsse der Fokus darauf gelegt werden, dass der Waldumbau gelinge und damit die Heimat der hier wildlebenden Tiere erhalten bleibe. Die Fraktion der CDU/CSU müsse sich fragen lassen, wo ihre Forderung, im Bundeswaldgesetz eine wildökologische Raumplanung zu implementieren, die dann über die Bundesländer abgewickelt werden sollte, dann enden würde. Die Frage dabei sei, dass, wenn z. B. in Bayern ein CSU-Ortsverein wieder eine neue Umgehungsstraße fordern würde, diese dann von der wildökologischen Raumplanung verhindert würde, weil durch den Straßenneubau eine weitere Zerschneidung des Lebensraumes von wildlebenden Tieren herbeigeführt würde. Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzte sich besonders gegen den hohen Flächenfraß in Bayern ein. Wenn sich stärker dafür engagiert werde, dass nicht mehr so leichtfertig Wald und Wiesen für Industriegebiete und für Straßen geopfert würden, dann wäre damit für die wildlebenden Tiere am meisten gewonnen. Es sei jetzt nicht an der politischen Tagesordnung, die Raumplanung dahingehend noch einmal aufzufüllen, dass sich die Politik mit der wildökologischen Raumplanung auseinandersetzen sollte. Die Politik sollte den Erfolg des Waldumbaus in den Mittelpunkt stellen und an anderen Stellen dafür sorgen, dass der weitere Flächenfraß verhindert und dadurch Lebensraum für die hiesigen wildlebenden Tiere erhalten bleibe.

Die Fraktion der FDP merkte an, dass es bezüglich der Rotwilddichte in Deutschland, wie im Antrag der Fraktion der AfD dargelegt, Herausforderungen gebe, werde von der Fraktion der FDP geteilt. Gerade in Baden-Württemberg und in Bayern sehe es die Fraktion der FDP ebenso als echtes Problem an, dass dort das heimische Rotwild faktisch „eingesperrt“ werde. Dieser bisherige Umgang mit dem Rotwild führe zunehmend bei dieser Wildtierart zu Inzucht. Daher würden die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP demnächst bei der Novellierung des Bundeswaldgesetzes prüfen, was dagegen unternommen werde müsse. Es könne insbesondere in Bayern und in Baden-Württemberg nicht so weitergehen, dass dort weiterhin große Landesteile zu rotwildfreien Gebieten erklärt würden. Das sei eine echte „Katastrophe“ für das Rotwild. Der Antrag der Fraktion der AfD richte sich dem Wortlaut nach mit dem Bund an den falschen Adressaten, da das Rotwildmanagement und die Ausweisung von Rotwildgebieten Ländersache seien. Das föderale System lasse es nicht zu, dass der Ausschuss bzw. der Deutsche Bundestag über etwas abstimme, was nicht in seine Zuständigkeit falle. Deswegen müsse die Fraktion der FDP den Antrag ablehnen.

Die Fraktion der AfD trug vor, bei ihrem Antrag gehe es um die die wildökologische Raumplanung beim Rotwild. Bei ihm werde über die größte freilebende Säugetierart in Deutschland gesprochen. Wegen vieler derzeit existierender Restriktionen sehe die Fraktion der AfD diese in ihrer artgerechten Lebensweise gefährdet. Zum Beispiel stünden in Baden-Württemberg nur vier Prozent der gesamten Landesfläche für dieses Wildtier zur Verfügung. Das restliche Gebiet werde einfach „Rotwildfreies Gebiet“ genannt. Rotwildfreies Gebiet bedeute, dass alles, was sich dort an Rotwild zeige oder zufällig dorthin abwandere, gefährdet sei, da es dem Abschuss unterliege. Das sei aus Sicht der Fraktion der AfD nicht mehr artgerecht, denn Rotwild brauche freie und große Lebensräume. Rotwild habe eine intensive Bindung, insbesondere bei den Muttertierfamilien, zum Rudel. Deswegen seien zusammenhängende vernetzte Lebensräume für das Rotwild wichtig. Wenn sich angeschaut werde, was dazu die Forschung mittlerweile auf den Tisch gelegt hätte, müsse gesagt werden, dass die Situation inzwischen dramatisch sei. Es bestünden bereits genetische Veränderungen beim Rotwild, wie z. B. die Unterkieferverkürzung. Das seien deutliche Zeichen, dass Rotwild zunehmend vereinsame und verinsele und sich damit nicht mehr ausreichend genetisch austauschen könne. Wenn sich der Unterkiefer zurückbilde, dann scheine es für diese eine Tierart auf den ersten Blick nicht so schlimm zu sein, aber es seien nur die ersten Anzeichen. Daher müssten sie für die Politik eine Alarmstufe sein. Die Fraktion der AfD fordere u. a., dass aus dem Bundeshaushalt Mittel zum Bau von Querungshilfen bzw. für Wildbrücken zur Verfügung gestellt werden und eine Wissensvermittlung zur Implementierung wildökologischen Raumplanung, ähnlich wie in Österreich, wo dies schon länger der Fall sei, stattfinde, damit der genetische Austausch wieder ermöglicht werde und rotwildfreie Gebiete der Vergangenheit angehörten. In diesem Zusammenhang müsse darauf hingewiesen werden, dass beim Wolf zugelassen werde, dass er sich in Deutschland überall bewegen dürfe und es für dieses Wildtier sogar dort, wo es für die Weide- bzw. Nutztierhalter gefährlich werde, keine Einschränkungen gebe, mit der Ausnahme, dass es ab und an die Erlaubnis gebe, einen Wolf entnehmen zu können, wogegen beim Rotwild „Feuer frei“ in den Gebieten gelte, in denen es nicht erwünscht sei. Das passe nicht zusammen. Daher mache die Fraktion der AfD mittels ihres Antrages einen Vorstoß für die faszinierende Wildart Rotwild.

Die Fraktion DIE LINKE. zeigte sich erfreut, dass Mecklenburg-Vorpommern als Musterland für die Rotwildpopulation genannt worden sei. Im Zusammenhang mit dem Bau von Autobahnen hätte Mecklenburg-Vorpommern, gerade, was die Schaffung von Querungshilfen betreffe, einen guten Stand im bundesweiten Vergleich. Die Berichterstatterin der Fraktion DIE LINKE. empfehle, sich als Muster für eine solche Querungshilfe die Wildbrücke über die Bundesautobahn A 20 bei Sundhagen in Mecklenburg-Vorpommern, die zudem einen Architekturpreis bekommen habe, anzuschauen. Sie sei nicht nur für das Wild gut, sondern auch von ihrem Aussehen ein „Hingucker“. Wild und Wald müssten mehr zusammengedacht werden. Mit der von der Fraktion der SPD angekündigten Novelle des Bundeswaldgesetzes müsse das Problem beim Rotwild in Angriff genommen werden und die Wildpopulationen in Deutschland insgesamt mitbetrachtet werden. Die Fraktion DIE LINKE. finde es sehr merkwürdig, dass die Fraktion der AfD ihre eigenen Argumente einmal um den „Muspott“ bringe, indem sie die Argumentation gegen den Wolf jetzt umdrehe und sie für ihren Antrag benutze. Was sie an dem Antrag der Fraktion der AfD zudem störe, sei die bei der fünften Antragsforderung gewählte Formulierung „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltmittel“. Das bedeute, dass an anderer Stelle im Bundeshaushalt etwas gestrichen werden müsse, was die Fraktion DIE LINKE. ablehne.

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