Wenn geflügelte Förster die natürliche Wiederbewaldung übernehmen

Veröffentlicht am 24.10.2023

Manchmal kommt es doch auf die Größe an: Samenausbreitung durch fruchtfressende Vogelgemeinschaften in sieben Gebieten Europas untersucht

Die Amsel (Turdus merula) gehört zu den fruchtfressenden Vogelarten. (Foto: Sascha Rösner)
Die Amsel (Turdus merula) gehört zu den fruchtfressenden Vogelarten. (Foto: Sascha Rösner)

Unter der Leitung von Dr. Juan P. González-Varo von der Universität Cádiz in Spanien hat ein Team von 14 europäischen Forscherinnen und Forschern, darunter der Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Jörg Albrecht, herausgefunden, dass fruchtfressende Vögel in weitgehend entwaldeten Gebieten größer und mobiler sind als ihre Artgenossen in Wäldern. Zudem verbreiten die Vögel in entwaldeten Gebieten bevorzugt Samen von Pflanzen, die größer sind und größere Samen tragen als in Wäldern. Die Studie, veröffentlicht im Fachjournal „PNAS“, basiert auf umfangreichen Datensätzen und gibt Empfehlungen für zukünftige Wiederbewaldungsprojekte.

Männliche Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) auf Beerensuche. (Foto: Sascha Rösner)
Männliche Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) auf Beerensuche. (Foto: Sascha Rösner)

Zu den fruchtfressenden einheimischen Vögeln gehören unter anderem die Amsel (Turdus merula), die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla), die Rabenkrähe (Corvus corone corone) und die Ringeltaube (Columba palumbus). Diese Vögel tragen erheblich zur Verbreitung von Pflanzensamen bei und spielen daher eine Schlüsselrolle bei der natürlichen Wiederbewaldung von ehemals genutzten Ackerflächen oder Grünland. Dr. Jörg Albrecht vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt erklärt: „Für uns ist es wichtig zu verstehen, wie sich diese Tiere in vom Menschen genutzten Landschaften bewegen und welche Folgen sich daraus für Pflanzen ergeben, die auf die Samenausbreitung durch Tiere angewiesen sind.“

Gemeinsam mit Prof. Dr. Nina Farwig und Dr. Sascha Rösner von der Universität Marburg sowie elf weiteren Forschern verschiedener europäischer Institutionen untersuchte Albrecht sieben Gebiete in Europa über mindestens ein Jahr. Sie interessierten sich dafür, wie sich die Gemeinschaften fruchtfressender Vögel von Wäldern zu den vorherrschenden „entwaldeten Landschaften“ verändern. Die Forscher sammelten Kotproben unter isolierten Bäumen, die oft von Vögeln als Sitzwarte oder „Trittsteine“ genutzt werden. Insgesamt wurden 3.313 Kotproben mit 15.260 Samen für eine DNA-Analyse verwendet, um die Tierarten zu identifizieren, die die Samen ausbreiten. Diese Methode ermöglichte es der Gruppe festzustellen, welche Tierarten die Samen in Waldgebieten und in den offenen Landschaften in den sieben untersuchten europäischen Gebieten verbreiten.

Die Auswertungen zeigten, dass die Anzahl der fruchtfressenden Vogelarten in und um Wälder ähnlich hoch ist. Die Zusammensetzung der Vogelgemeinschaften unterscheidet sich jedoch deutlich. In weitgehend entwaldeten Gebieten finden sich fruchtfressende Vögel, die größer und mobiler sind als ihre Artgenossen im Wald. Sie verbreiten auch die Samen von Pflanzen, die größer sind, mehr Samen tragen und erst spät im Jahr Früchte bilden. Veränderungen in der Zusammensetzung der Tiergemeinschaften beeinflussen letztlich, welche Pflanzenarten in verschiedenen Lebensräumen ausgebreitet werden.

Die Studie betont auch die Bedeutung von Waldflecken als Reservoir für die pflanzliche Artenvielfalt und für die Samenausbreitung durch fruchtfressende Tiere. Es besteht ein hohes Potenzial für die passive Wiederbewaldung von nicht bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen. Albrecht schlägt auf Grundlage der Studie vor, dass Wiederbewaldungsmaßnahmen sich auf die Anpflanzung isolierter Bäume als „Startgebiete“ für Wälder konzentrieren sollten, sowie auf Pflanzenarten, die in offenen Landschaften nur schwer ausgebreitet werden. Renaturierungsflächen sollten außerdem in der Nähe intakter Wälder liegen, um die Ausbreitung von Samen durch die „geflügelten Förster“ zu erleichtern.

Publikation: González-Varo et al. (2023) Frugivore-mediated seed dispersal in fragmented landscapes: Compositional and functional turnover from forest to matrix. PNAS, 120:e2302440120. https://doi.org/10.1073/pnas.2302440120