Wenn die Schonzeit für Gämsen zum scheinheiligen Versprechen wird

Veröffentlicht am 17.12.2023

Die Bayerischen Staatsforsten erlegen fast jede fünfte Gams in der Schonzeit: Die Deutsche Wildtier Stiftung kritisiert den Umgang mit den tierischen Kletterkünstlern in den Bayerischen Alpen

Zwei Gämsen im Schnee im Hochgebirge. (Symbolbild: Mario auf Pixabay)
Zwei Gämsen im Schnee im Hochgebirge. (Symbolbild: Mario auf Pixabay)

Vor fast 40 Jahren beschloss der Bayerische Landtag die Sanierung und Wiederbewaldung von Schutzwaldflächen in den Bayerischen Alpen. In den letzten Jahren hat sich der Fokus der Schutzwaldsanierer von Pflanzungen und technischen Schutzmaßnahmen auf Gämsen, Hirsche und Rehe verschoben. Da die Knospen junger Bäume zum Nahrungsspektrum der Paarhufer gehören, gibt es für sie seit fast 25 Jahren in vielen Gebieten keine Schonzeit mehr. Die Jagdzeit auf Gämsen in den Bergen endet (normalerweise) am 15. Dezember, aber in einigen Gebieten nur auf dem Papier.

Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung, sagt dazu: „Allein in Oberbayern gibt es auf über 25.000 Hektar keine Schonzeit.“ Erhebungen der Stiftung zeigen, dass die Bayerischen Staatsforsten, die etwa 80 Prozent des Gamslebensraums bewirtschaften, fast jede fünfte Gams in der Schonzeit erlegen. In den Chiemgauer Alpen gibt es zum Beispiel auf nahezu allen gut geeigneten Winterlebensräumen des Gamswildes keine Schonzeit – diese Flächen werden zur Todesfalle für die Gämsen. Paradox: Es gibt Gebiete, die von Skifahrern oder Wanderern aus Rücksicht auf die Wildtiere gemieden werden sollen – in denen aber ganzjährig gejagt werden darf. „Die Schonzeit wird hier zum scheinheiligen Versprechen“, moniert Kinser.

Die Erfolge der dauerhaften Bejagung von Gämsen und anderen Wildtieren sind zweifelhaft. Seit Beginn der Schutzwaldoffensive in den 1980er-Jahren sind nur sehr wenige Flächen aus der Sanierungsphase entlassen worden. Stattdessen stehen die Gämsen mittlerweile in der Kategorie „Vorwarnliste“ auf der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands. Analysen der Deutschen Wildtier Stiftung zeigen, dass das Durchschnittsalter der erlegten Gämsen im Landkreis Traunstein gerade einmal 2,5 Jahre beträgt – wildbiologisch notwendig wäre etwa das Dreifache. „Die starke Nutzung junger und jüngster Altersklassen zeigt, dass die Gämsenpopulationen regional bereits stark übernutzt und destabilisiert sind“, kritisiert Andreas Kinser.

Die oberbayerische Schonzeitaufhebungsverordnung läuft im Februar 2024 aus. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert, sie nicht weiter zu verlängern. „Im Rahmen der gesetzlichen Jagdzeiten können die Schutzziele im bayerischen Bergwald erreicht werden“, so Kinser. In Frankreich, Italien oder der Schweiz existieren Wildruhezonen, in denen Gämsen nicht gejagt werden dürfen und die möglichst frei von menschlichen Störungen gehalten werden. Solche Wildruhe- oder Jagdschongebiete wären auch in den Bayerischen Alpen ein wichtiges Instrument, um den Tieren gerade jetzt, wo der Schnee bereits Anfang Dezember meterhoch liegt, die dringend nötige Ruhe zu gewähren. Die Stiftung fordert außerdem ein repräsentatives Monitoring zur Alters- und Sozialstruktur der Gämsen.