Invasiver Jäger: Waschbär gefährdet heimische Amphibien und Reptilien

Veröffentlicht am 29.08.2023

Wildtierforschungsprojekt ZOWIAC untersucht Auswirkungen auf sensible, bedrohte Amphibien- und Reptilienarten durch Waschbären

Erlegter Teichfrosch, dessen Bein lediglich gehäutet wurde. (Foto: Marion Valentin, ZOWIAC)
Erlegter Teichfrosch, dessen Bein lediglich gehäutet wurde. (Foto: Marion Valentin, ZOWIAC)

Im Rahmen des Verbundprojektes ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) hat ein Team unter der Leitung des Parasitologen Prof. Dr. Sven Klimpel das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten untersucht. Wie die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung mitteilt, zeigen die Ergebnisse, dass die invasiven Raubtiere in bestimmten Gebieten eine potenziell bestandsbedrohliche Auswirkung auf verschiedene, teilweise stark gefährdete Amphibien- und Reptilienarten haben.

Ob eine invasive Art zur „Problemart“ wird, hängt in großem Maße von regionalen, ökologischen oder nutzungsbezogenen Bedingungen ab. „So ist das auch beim – ursprünglich in Nordamerika heimischen und bei uns als invasive Art geführten – Waschbären (Procyon lotor). Seine hohe Ausbreitungsfähigkeit und generalistische Ernährungsweise führt dazu, dass die Art fast alle natürlichen Lebensräume besiedeln kann“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt, der Goethe-Universität Frankfurt und dem LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik. Er fährt fort: „In diesem Zusammenhang gibt es schon länger den Verdacht, dass Waschbären für den Rückgang zahlreicher einheimischer Reptilien- und Amphibien-Arten in bestimmten Gebieten mit verantwortlich sind.“

Von einem Waschbären erlegte und halb gefressene weibliche Erdkröte. Der noch in der Kröte befindliche Laich wurde bevorzugt aufgenommen. (Foto: Norbert Peter, ZOWIAC)
Von einem Waschbären erlegte und halb gefressene weibliche Erdkröte. Der noch in der Kröte befindliche Laich wurde bevorzugt aufgenommen. (Foto: Norbert Peter, ZOWIAC)

Um dieser Vermutung nachzugehen, hat das Team um Klimpel in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Amphibien- und Reptilienschutz in Hessen e. V. (AGAR), dem NABU Main-Kinzig-Kreis, dem Naturschutzbeauftragten von HessenForst sowie Vertretern der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON) und im Rahmen des ZOWIAC-Projektes das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten in Hessen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt erfasst. Ziel der Untersuchung war es, die Auswirkungen und möglichen Konflikte, die mit der zunehmenden Verbreitung von Waschbären einhergehen, zu identifizieren und Empfehlungen für Maßnahmen auf lokaler und landesweiter Ebene zu erarbeiten.

„Wir konnten mittels modernster genetischer Analysemethoden eindeutig nachweisen, dass Grasfrösche (Rana temporaria), Erdkröten (Bufo bufo) und Gelbbauchunken (Bombina variegata) zu den Beutetieren von Waschbären zählen“, erklärt Klimpel. Der Mageninhalt eines Raubtiers aus einem Laichgebiet im Spessart bestand vollständig aus Erdkrötengewebe. Bissmarken um die Laichplätze deuteten laut den Experten außerdem darauf hin, dass Waschbären in der Lage sind, Kröten vor dem Verzehr zu häuten, um ihre Giftdrüsen zu umgehen. „In einem Naturschutzgebiet in Osthessen wurden in einer Stunde über 400 gehäutete Kröten gezählt – ein wirklich deprimierender Rekord“, berichtet Timo Spaniol, Gebietsbetreuer vom NABU Main-Kinzig-Kreis und der AGAR.

In weiteren Laboruntersuchungen an der Goethe-Universität konnte nachgewiesen werden, dass Waschbären auch einheimische Schlangen erbeuten. Gewebereste und Knochen von Ringelnattern (Natrix natrix) wurden in den Mageninhalten der Tiere gefunden. Im Untersuchungsgebiet Rheingau-Taunuskreis entdeckte das Team außerdem eine während der Eiablage gefressene Äskulapnatter (Zamenis longissimus). Auch Annette Zitzmann, Projektleiterin der AGAR, ist alarmiert: „Es wurde Waschbär-DNA sowohl auf der Schlange als auch an den geöffneten Eiern nachgewiesen. Die Äskulapnatter ist sehr selten und wird in den Roten Listen als ‚stark gefährdet‘ eingestuft. Naturschutzrechtlich ist sie streng geschützt.“

Einer der gefundenen erlegten Feuersalamander, die allesamt getötet und nicht verzehrt wurden. (Foto: Marion Valentin, ZOWIAC)
Einer der gefundenen erlegten Feuersalamander, die allesamt getötet und nicht verzehrt wurden. (Foto: Marion Valentin, ZOWIAC)

Beobachtungen von offiziellen und ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten deuten außerdem darauf hin, dass Bergmolche (Ichthyosaura alpestris), Wechselkröten (Bufotes viridis) und sogar Feuersalamander (Salamandra salamandra) auf dem Speiseplan der Waschbären stehen. „Insbesondere die letzten beiden Arten sind besonders geschützt und könnten bei einem massivem Fraßdruck durch den Waschbären innerhalb kürzester Zeit in bestimmten Gebieten so stark dezimiert werden, dass Populationen sich nicht mehr reproduzieren können und lokal verloren gehen“, stellt Klimpel fest. Norbert Peter, ZOWIAC-Projektleiter an der Goethe-Universität, fügt hinzu: „Wir sehen einen Prädationsdruck auf geschützte Amphibien und Reptilien in bestimmten Gebieten, der für diese Arten teilweise bestandsbedrohend ist. Zwar sind die bestehenden naturschutzrechtlichen Vorgaben der EU und des Bundes geeignet, um Reptilien und Amphibien lokal in ihrem Bestand zu erhalten – doch stoßen diese an ihre Grenzen, wenn zusätzliche Bedrohungen hinzukommen. In diesem Kontext beeinflusst der Waschbär heimische Ökosysteme eindeutig negativ.“

Die Forscher fordern, dass kontinuierlich umfassende Daten zur Verbreitung, den Habitatansprüchen, der (Nahrungs-)Ökologie und der Parasitierung erhoben werden, um zukünftige Effekte und die fortschreitende Verbreitung von Waschbären und anderen gebietsfremden Arten frühzeitig erkennen zu können. Mechanismen und Werkzeuge zum Management invasiver Arten sollten nicht starr sein, sondern regelmäßig überprüft und angepasst werden, um dem übergeordneten Ziel des Schutzes der Artenvielfalt gerecht zu werden, schlägt das Team vor.

„Es ist notwendig, neue Wege zu gehen und um staatliche Finanzierungshilfen für den Naturschutz sowie für bereits bestehende Projekte zu werben, damit bedrohte heimische Arten erhalten bleiben. Dabei reicht es nicht nur lokale Gebiete zu untersuchen. Wir freuen uns daher, dass das Verbundprojekt ZOWIAC zur Erforschung von Invasionsprozessen solcher gebietsfremden Fleischfresser und deren Auswirkungen auf heimische Ökosysteme nun auch den europäischen Raum in den Blick nimmt. Erst kürzlich haben wir unsere englischsprachige Webseite (https://zowiac.eu/en/) online gestellt, ebenso findet am 14. und 15. September die ZOWIAC-Konferenz (https://zowiac.eu/konferenz) statt, um den Invasionsprozess zusammen mit Fachleuten verschiedenster Gebiete sowie einem interessierten Publikum zu erörtern“, schließt Klimpel.