Neujahrsgedanken

Neujahrsgedanken

Georg v. Kerssenbrock blickt für die Jägerstiftung kritisch auf das vergangene Jahr zurück und bricht angesichts der Wolfsdebatte eine Lanze für unser Schalenwild.

Gibt es wildlebende Tiere erster und zweiter Klasse?
Gibt es wildlebende Tiere erster und zweiter Klasse?

Liebe Leserinnen und Leser,

welche Verlogenheit beim Tier-, Natur- und Artenvielfaltsschutz im Spiel ist, lässt sich am Beispiel Wolf versus Schalenwild deutlich machen. Beim Wolf wird die Notwendigkeit des Eingriffs durch den Menschen mit Vehemenz verneint. Alles muss darauf angelegt sein, ein langfristiges Miteinander von Menschen, Weide- und Wildtieren zu ermöglichen, ohne dass eine Entnahme des Prädators „Wolf“ stattfindet. Dabei ist es der Wolf, der tötet und damit maßgeblich die Artenvielfalt beeinflusst.

Zum Schutz der Weidetierhaltung werden den jeweils betroffenen Menschen Geduld und nicht zuletzt hohe finanzielle Aufwendungen zugemutet. Neue Gesetze zur Entnahme von Wölfen hin oder her: Nichts kann zu teuer sein, als dass auch nur ein Abschuss eines Wolfes in Betracht gezogen werden kann. Und wer etwas anderes will, der wird gemobbt, verleumdet und bedroht. 

Dem gegenüber kann nicht rabiat genug gegen das Schalenwild zu Felde gezogen werden. Die Ausrottung von Wildarten ist auf diesem Gebiet kein Tabu. Man könnte den Eindruck gewinnen, es handelte sich allein um „Schadwild“, dem nicht genug zu Leibe gerückt werden kann, quasi wie einer Ratte. Doch was haben diese Wildarten „Böses“ an sich, dass ihnen bisweilen sogar das Existenzrecht abgesprochen wird, wenn ich z. B. den Umgang mit Gams- oder Rotwildbeständen im Bereich der Voralpen bedenke?

Unbestritten fressen alle Schalenwildarten (auch das Schwarzwild) Pflanzen bzw. deren Früchte und stehen damit in Konkurrenz zur Bewirtschaftung von Wald, aber auch zur Landwirtschaft schlechthin. Eine Rotte Sauen wie ein Rudel Rotwild in einem Getreide- oder Maisanbau können für erhebliche Schäden sorgen. Abgesehen davon ist das Schwarzwild für die Übertragung von Seuchen (Stichwort: ASP) mitverantwortlich und deshalb im Fokus des – wie man heute so schön sagt – Wildmanagements. Insoweit hat sich im Bereich der Forstwirtschaft wegen der Beschädigung von Naturverjüngung sogar ein ziemlich eindeutiges Schlagwort ergeben, welches da lautet: Wald vor Wild! 

Wie gesagt, diese Auffassung wird von Seiten des Natur- und Umweltschutzes vertreten. Und während Tierschützer für den Wolf, ja eher auch noch für den Fuchs als wichtigem Konkurrenten zu anderen wildlebenden Tierarten in die Bresche springen, ist mir bisher nicht bekannt geworden, dass z. B. im Harz der Schutz von Rotwild gefordert wird. Warum eigentlich nicht? Gibt es wildlebende Tiere erster und zweiter Klasse?
Können derartige Fragen allein ideologisch beantwortet werden? Oder gibt es auch noch eine sachliche Sichtweise, sich dem Problem zu nähern? 

Wenn ich als Optimist die letzte Frage bejahe, dann sollte vielleicht auch die These in Betracht gezogen werden können, dass wir überall, wo es den Menschen gibt und dieser seinen Lebensraum in Anspruch nimmt, keine reine Natur geben kann. Es handelt sich um Kulturlandschaft, in der es erforderlich ist, zu steuern und für einen klugen Ausgleich zu sorgen, wenn etwas „aus den Fugen“ gerät. Aus diesem Grund habe ich dafür Verständnis, wenn zur Förderung von Naturverjüngung im Wald die Wilddichte beim Schalenwild heruntergefahren werden muss. Das kann aber nicht heißen, dass überall, wo mehr als zwei Stücke beieinanderstehen, eine Überpopulation festzustellen ist, nämlich weil das Rotwild bekanntermaßen ein Rudelwild ist.

Im Gegenteil, an bestimmten Stellen müssen auch 10 Stück ausgehalten werden können, weil anders Rotwild nicht funktioniert. Ggf. muss auch der Mensch einmal dem Wild den Vorrang einräumen, weil nicht zuletzt die Einengung der Lebensräume für bestimmte Wildarten gerade zu den Schäden führen, die vermieden werden sollen. 

Was aber für die Schalenwildarten gelten muss, das hat auch seine Berechtigung bei den Wildarten, die den Prädatoren zuzurechnen sind. Der Schaden, der von ihnen für die Kulturlandschaft ausgeht, der muss sich eingrenzen lassen und zwar nicht nur dadurch, dass den Bewohnern der Kulturlandschaft erhebliche Kosten zugemutet werden, sondern damit, dass auch Tiere entnommen, was heißt, getötet werden.

Um das Natürliche, was einer Kulturlandschaft noch anhaftet zu erhalten, müssen Ausgleichsmaßnahmen in Betracht gezogen werden. Es kann insoweit kein „nur schwarz“ oder „nur weiß“ geben. Dieses ist in der Vergangenheit schon Menschen mit Verantwortung gelungen, als es keine „erklärten, professionell organisierten Naturschützer“ gab. Das wird auch heutzutage der Fall sein. Dabei braucht man keinen Naturnutzer zu verunglimpfen, nicht einen Land- und/oder Forstwirt und auch keinen Jäger zu mobben, vielleicht zu bedrohen.

Bei allen Schwierigkeiten im Detail: Die verantwortliche Nutzung der Kulturlandschaft ist angewandter Naturschutz! 

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein glückliches Jahr 2020.

Georg v. Kerssenbrock

(Vorstandsmitglied der Jägerstiftung natur+mensch)

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