Borchert: Ich verstehe den Unmut der Bauern

Interview mit dem Vorsitzenden der Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung

Bundesminister a. D. Jochen Borchert bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie zu den Vorschlägen der nach ihm benannten Kommission. (Foto: © BMEL/Photothek)
Bundesminister a. D. Jochen Borchert bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie zu den Vorschlägen der nach ihm benannten Kommission. (Foto: © BMEL/Photothek)

Die Fragen für den Politblog der Jägerstiftung stellte Jürgen Wermser

Herr Borchert, die von Ihnen geleitete sogenannte Borchert-Kommission hat in den vergangenen zwei Jahren im Auftrag der damaligen CDU-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner Vorschläge für den Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland hin zu mehr Tierwohl erarbeitet. Der neue Agrarminister Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen hat das Mandat der Kommission nun verlängert. Sie wollen die Arbeit aber so lange ruhen lassen, bis die Finanzierung geklärt ist. Weshalb ist dieser Punkt derart zentral? Wird dadurch nicht wertvolle Zeit für eine weitere Ausgestaltung der geplanten Reform vertan?

Die Finanzierung ist entscheidend für eine Transformation der Nutztierhaltung. Die Bauern verlangen zu Recht Klarheit in diesem Punkt. Sonst können sie nicht auf andere, sehr viel teurere Formen der Tierhaltung umsteigen. Die meisten Themen sind auch schon geklärt. Für alle wesentlichen Fragen gibt es ausreichend Vorschläge. Im Übrigen ist die Finanzierung diejenige Frage, in der die Positionen innerhalb der Ampelkoalition am weitesten auseinanderliegen. Die Mitglieder der Kommission haben keine Lust, als eine Art Feigenblatt weiterzuarbeiten, während die zentrale Frage der Finanzierung weiterhin ungeklärt bleibt.

Wie hat die Bundesregierung darauf reagiert, dass Ihre Kommission die Arbeit vorerst ruhen lassen will?

Sie hat es zu Kenntnis genommen. Aber ich glaube, die Bundesregierung sieht auch ein, dass die Finanzierung der zentrale Punkt für eine Umstellung der Nutztierhaltung in Richtung mehr Tierwohl ist.

Minister Özdemir hat Anfang des Monats in der Haushaltsdebatte des Bundestags betont, wie wichtig ihm das Tierwohl sei. Für den dafür notwendigen Umbau von Ställen wolle sein Ministerium bis 2026 insgesamt eine Milliarde Euro investieren, für den Haushalt 2023 seien dafür 150 Millionen Euro vorgesehen. Würden aus Ihrer Sicht Mittel in dieser Größenordnung genügen, um die von Ihnen und Ihrer Kommission empfohlenen Strukturveränderungen kurzfristig auf den Weg zu bringen?

Die Mittel sind in der Höhe für einen Einstieg ausreichend. Aber es fehlen langfristige Verträge. Denn nur 20 Prozent der höheren Kosten betreffen die Investition. Die übrigen 80 Prozent fallen in der Produktionsperiode an – zum Beispiel durch Einstreuung von Stroh und vieles andere mehr. Wenn ein Bauer zu Bedingungen produzieren soll, für die er am Markt keinen Erlös erzielen kann, müssen ihm die Mehrkosten erstattet werden. Sonst wird und kann er eine Investition nicht riskieren. Deshalb braucht der Bauer neben der genannten Anfangsförderung zur Absicherung langfristige staatliche Verträge.

Angesichts der steigenden Preise: Von welchem Finanzbedarf pro Jahr gehen Sie langfristig aus, um die Umstellung der Nutztierhaltung verlässlich zu sichern?

Am Ende der Umstellung nach 20 Jahren, wenn die meisten Ställe den Anforderungen der Stufe drei – also Auslauf oder Außenklima – entsprechen, werden nach unseren Berechnungen rund vier Milliarden Euro jährlich erforderlich sein. Die Summe könnte aber wegen technischen Fortschritts auch niedriger ausfallen. Zudem könnte es Änderungen bei den Haltungsvorschriften der Europäischen Union geben. Wenn hier die Anforderungen beim Tierwohl angehoben werden, verkleinert sich natürlich auch der Abstand zu Deutschland. Ich gehe insofern davon aus, dass sich bis zum Ende der Transformation die Kosten eher verringern werden.

Mit welchen Mehrkosten müsste dann der einzelne Verbraucher rechnen?

Zur Finanzierung würde eine Tierwohlabgabe von 40 Cent auf alle tierischen Produkte ausreichen. Das wäre für den Verbraucher eine Belastung von 70 Cent pro Woche. Sie ist für die Mehrheit der Verbraucher tragbar. Im Übrigen sind in den genannten vier Milliarden Euro auch Mittel enthalten, um einkommensschwache Schichten der Bevölkerung zu unterstützen.

Noch stemmt sich die FDP gegen die staatliche Finanzierung beziehungsweise vertragliche Absicherung der Umbau-Maßnahmen. Für wie realistisch halten Sie es, dass die erforderlichen Gelder in den nächsten ein bis zwei Jahren von der Ampelkoalition tatsächlich bereitgestellt werden?

Falls die Gelder nicht bereitgestellt würden, können wir das ganze Projekt schließen. Dann wird in dieser Legislaturperiode nichts mehr passieren. Ob sich die FDP bewegen wird, weiß ich nicht.

Wie beurteilen Sie das Blockade-Verhalten der FDP?

Ich verstehe es nicht. Denn eigentlich müssten die Liberalen einsehen, dass die Mehrkosten am Markt nicht zu erzielen sind. Es gibt von ihnen auch keinen vernünftigen Alternativvorschlag. Die Freien Demokraten betonen zwar, dass eine Umstellung der Nutztierhaltung notwendig sei. Aber sie lassen völlig offen, wie sie dies finanzieren wollen. Deshalb muss die FDP jetzt mal im Detail erklären, wie sie das Ganze ohne die Bereitstellung öffentlicher Mittel machen will.

Weshalb tun sich die Liberalen hier so schwer?

Es könnte mit der Festlegung zusammenhängen, in dieser Wahlperiode nicht zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft einzusetzen. Auch gibt es den Beschluss der Ampelkoalition, dass in dieser Legislatur keine Steuern erhöht oder neu eingeführt werden. Aber wir brauchen für eine Umstellung der Nutztierhaltung nun mal staatliche Mittel. Der Vorschlag, es über einen privaten Fonds zu finanzieren, ist nicht machbar. Dies hat auch ein Gutachten, das noch die alte Koalition anfertigen ließ, eindeutig bestätigt.

Wo liegt hier der entscheidende Punkt?

Für mich ist das Kernproblem, dass Landwirte über einen privaten Fonds keine langfristigen Verträge mit der notwendigen Sicherheit abschließen können. Denn Grundlage eines privaten Fonds ist eine Abgabe. Diese müsste innerhalb der Kette von Bauer bis Handel oder nach Möglichkeit beim Endverbraucher erhoben werden. In beiden Fällen brauchen wir aber ein staatliches Gesetz, das eine solche Abgabe vorsieht. Wenn dieses Gesetz jedoch eines Tages mal aufgehoben würde, könnte der Fonds die Zahlung gemäß seinen Verträgen nicht mehr garantieren. Das ist für die Landwirte nicht akzeptabel. Sie würden deshalb nicht investieren können.